Söllhuben – Kürzlich feierte er seinen 89. Geburtstag und doch wirkt Abdullah Ibrahim, sobald er an seinem Fazioli-Flügel im Hirzinger-Stadl Platz genommen hat, erstaunlich jung. Als Dank für den Begrüßungsapplaus legt er seine Handflächen wie zum Gebet aneinander, dann lässt er seine schlanken und langen Hände auf die Tasten sinken. Aus leisen, langsamen Tönen schält sich eine Melodie heraus. Eine Melodie, die sich weit über eine Stunde weiterentwickelt. Ohne Unterbrechung. Es ist ein nicht enden wollender musikalischer Erzählfluss, ein unendlicher Strom von Melodien und Motiven. Verschwenderisch schön.
Mühelose Improvisationen
Lustvoll improvisierend reiht er Eigenkompositionen aus den Alben „Dream Time“ und „Solotude“ aneinander, und doch wirkt nichts angestrengt. Da ist kein Misston dabei, da reibt sich nichts, auch wenn manche Wendung überrascht. Manchmal folgt jazzigen Akkorden nur ein Ton, den er bis zum Verebben hält, manchmal steigert er Melodien, die an Gospel erinnern, von einem sanften p ins f. Mal sind es rhythmische Bassmelodien à la Thelonius Monk mit der linken Hand, die Kontrapunkte für die frei mäandernde Rechte liefern.
Mal sorgen sorgfältig gesetzte Durakkorde für Strukturierung und Ruhe. Alles durchgehend gepaart mit elegantem Anschlag und behutsamem Gebrauch der Pedale.
Das sorgt für Spannung pur. Vom ersten Ton an ist das Publikum – aus ganz Deutschland, aus der Schweiz und Italien und sogar aus den USA sind die Zuhörer angereist – hoch konzentriert. Und doch strahlen seine Stücke eine stille Kraft aus. Eine Kraft, die den Zuhörenden beinahe in meditative Trance versetzt.
Abdullah Ibrahim ist eine Jazzlegende, das muss man anerkennend so sagen. Dabei war ihm, der in Kensington, einem der Armenviertel von Kapstadt aufgewachsen ist, eine Jazzmusikerkarriere nicht in die Wiege gelegt. Und dennoch schaffte er es, angefangen als Begleiter von Miriam Makeba, dann als Bandleader der ersten südafrikanischen Jazzband Jazz Epistels und später in Europa und den USA – auch dank seines Mentors Duke Ellington – zu höchsten Weihen der Jazzmusik. Zahlreiche internationale Auszeichnungen wurden ihm verliehen. Eines seiner Stücke, Mannenberg, wurde zur Hymne der Anti-Apartheit-Bewegung. 1994 spielte er bei der Amtseinführung Nelson Mandelas.
Reise durch Klanglandschaften
Heute lebt Abdullah Ibrahim – wenn er nicht auf Tourneen weltweit unterwegs ist – vorwiegend im Chiemgau. All diese Stationen verarbeitet er zu einer Klanglandschaft, die er bedächtig durchschreitet, in die er manchmal sogar zurückkehrt, so, als wolle er die Zeit einbremsen. Als der lange tiefe Schlusston verhallt, braucht man lange, ehe man realisiert, dass die Reise schon zu Ende ist.
Den begeisterten Applaus nimmt Abdullah Ibrahim mit einer zart angedeuteten Verbeugung und einem stillen Lächeln entgegen. Sein erhobener Zeigefinger deutet schließlich an, dass er noch eine kleine Zugabe geben will.
Nach dem langen Applaus legt er wieder die Handflächen aneinander, fast als wolle er sich beim Publikum bedanken, dass es ihn auf seiner Reise begleitet hat. Eigentlich müsste man sich bei ihm bedanken und ihm wünschen, dass noch viele Erzählungen folgen mögen.