Bruckmühl – Die aus Catania, Sizilien, stammende Sängerin Etta Scollo und ihre beiden von ihr liebevoll als musikalische „Schutzengel“ bezeichneten Musikerinnen, Susanne Paul am Cello und Susanne Stock am Akkordeon, entführten die Zuschauer in der fast ausverkauften Kulturmühle mit ihrem Programm „Una notte siciliana“ in die Sphären der Dichtung und Legenden eines kosmopolitischen, friedlichen Siziliens des frühen Mittelalters.
Nach einem melancholischen, von ihr vertonten Gedicht über die große Bedeutung des Atmens für den Menschen („Ciatu“) begrüßt Scollo ihr Publikum zu einem abwechslungsreichen Programm über Sizilien.
Als größte italienische Insel ist für Sizilien das Meer seit jeher von immenser Bedeutung gewesen – was sich in der bekannten Erzählung über einen jungen Mann aus Messina, der das Meer über alles liebte, widerspiegelt. Scollos melancholisches und zugleich lebendiges Liebeslied schildert, wie der junge Mann für Kaiser Friedrich II. wiederholt tief zum Meeresgrund hinabtaucht und ihm die Wunder, die er dort sieht, beschreibt. Obwohl er dafür mit der Hand der Tochter des Kaisers belohnt werden soll, kehrt er von seinem letzten Tauchgang nicht mehr zurück, da Sizilien, das unter Wasser auf drei Säulen steht, von denen eine beschädigt ist, in großer Gefahr schwebt. Und so entscheidet er sich, unter Wasser zu bleiben und die Säule zu stützen, was die Prinzessin in tiefe Traurigkeit stürzt. Da Scollos Liedtexte zum größten Teil auf Sizilianisch verfasst sind, fasste sie jeweils vor deren Darbietung den Hintergrund und Inhalt für die Zuschauer in deutscher Sprache zusammen.
Immer wieder betont sie, welch goldenes Zeitalter damals auf Sizilien herrschte, sowohl im wissenschaftlichen als auch kulturellen Bereich, und wie friedlich die unterschiedlichen Völker – Sizilianer, Nordafrikaner, Juden, Araber – in fruchtbarer Symbiose zusammenlebten. Dass dabei auch die Freude und der Genuss nicht zu kurz kamen, zeigt die Vertonung von „Aiuta il liquore e ti dà gioia“ des sizilianisch-arabischen Dichters Ibu al-Katar aus dem 9. Jahrhundert, die anregt, die Waffen schweigen zu lassen und stattdessen zusammen zu trinken und sich für den Frieden zu umarmen. Das wie ein Bass anmutende, tief brummelnde Akkordeon sowie das zunächst gezupfte Cello untermalten die orientalisch anmutende Melodie des hohen, eindringlichen Gesangs und steigerten sich zu einem kraftvollen, fast rockigen Ausdruck. Das melancholische Stück „Sicilia mia“ ließ die Zuhörer das Gefühl von Heimweh musikalisch nachvollziehen, indem es mit sehnsuchtsvollen Klängen den gefühlten Schmerz und die Erinnerung an jenen geliebten Ort beschrieb.
Dass jedoch auch Sizilien im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von Kämpfen gebeutelt wurde, davon erzählt das ironische, teilweise an einen Chanson erinnernde Lied „Les Siciliens“, das auf die sogenannte Vesper-Revolte der Sizilianer zur Zeit der Besatzung durch die Langobarden Bezug nimmt.
Stücke wie „Attia“ oder „Un solo bacio“ aus ihrem neuen Album „Ora“ vertonen die Magie und Kraft der Liebe, während der fröhliche Titel „Rosalia“ eine Ode an die geliebte und wunderschöne Patronin Siziliens, die heilige Rosalie, ist, deren durch die Straßen getragenen Gebeine einst den Schrecken der Pest beendeten.
Für den der großen sizilianischen Volkssängerin Rosa Balistreri gewidmeten Song „Signuruzzu“, der auf einem traditionellen Gebet um Regen basiert, nimmt Etta Scollo auf einem Stuhl Platz, die Gitarre auf den Knien, um Balistreri nachzuahmen, wie sie ganz vorsichtig und fast andächtig die ihr geliehene Gitarre zupft. Der nachdenkliche Titel „Arvulu“ befasst sich wiederum mit der Entwurzelung des Menschen, vertont am Beispiel eines Baumes, der sich einer Erzählung nach auf die Suche nach seinen Wurzeln macht und sie doch wieder am Ausgangspunkt findet.
Die große Bedeutung des Tanzens in Sizilien erfühlt das angeregt mitklatschende Publikum bei dem mitreißenden Stück „Aballati“. Nach tosendem Applaus und Standing Ovations bekommt das begeisterte Publikum zwei Zugaben: das spanische Lied „La voz“ (zu Deutsch: die Stimme) – denn auch die Spanier waren einst in Sizilien gewesen – sowie das eindringliche und zugleich zarte Solo „Donna Vita Libertà“. Es wurde von verschiedenen Frauen im Iran als Protest gegen die dortige Diktatur komponiert und Scollo widmet dessen italienische Version eben diesen kämpferischen Frauen. Ein nachdenklicher Ausklang eines interessanten musikalischen Abends mit universellen historischen und kulturellen Themen.
claudia pfurtscheller