Kein Zweifel: Die sogenannten „ing-Orte“ gehören zu den ältesten Ortsnamen im germanischen Sprachraum und somit auch in unserer Region. Hans Meixner („Die Ortsnamen der Gegend um Rosenheim“) legt ihre Entstehungszeit in die Epoche, die kurz nach der Einwanderung germanischer Völker in das von Kelten und Romanen bewohnte Voralpenland begonnen hat, also in die Zeit nach 500. Hierbei handelte es sich um die Alemannen, Baiuwaren und Franken. Diese Stämme benannten mehrere ihrer Siedlungen nach dem Namen ihres Anführers und erweiterten dessen Namen durch die Nachsilbe -ing, die unter anderem eine Zugehörigkeit ausdrücken konnte.
So bezeichnete beispielsweise die für circa 1200 überlieferte und im Dativ Plural stehende Form Sigehart-ing-en, heute Siegharting, den Träger dieses Namens und seine Angehörigen im Sinne von „bei Sigihart und seinen Leuten“.
Und Gottschalling, auf guad Boarisch entweder „Godschejn“ oder „Godschoin“, das nahe bei Lippertskirchen („Liawisch“) in der Gemeinde Bad Feilnbach liegt, ist 1300 als Gotschalching urkundlich erwähnt.
Der zugrunde liegende Personenname Gotesscalc verdient besondere Aufmerksamkeit. Heutzutage zumeist als Gottschalk geschrieben und aus den Elementen „Gott und althochdeutsch scalk = Knecht, Diener“ bestehend, wurde er gerne von Juden verwendet, wie dem Ortsnamenbuch von Wilfried Seibicke zu entnehmen ist. Dort heißt es, der Name Gottschalk entspreche in seiner Bedeutung dem hebräischen Obadja, Abdias (arabisch Abdullah) und Eljakim. Gottschalk habe aber zugleich auch einen christlichen Kontext, weil es einen Wendenfürst ( = Slawenfürst) gegeben habe, der am 14. Juni 1066 als Märtyrer ermordet und später heiliggesprochen wurde. Die Frage, warum unser Gottschalling einen Namen trägt, der für die Region, in der dieser Ort liegt, eher ungewöhnlich ist, wäre wohl eine interessante Aufgabe der lokalen Geschichtsforschung.
Dass die voll ausgeprägte Namensform in den drei Beispielnamen aber die einzig mögliche Bildung eines ing-Ortsnamens darstellte, ist nicht der Fall. Vielmehr lassen sich bei den ing-Orten sehr häufig auch Kurz- oder sogar Koseformen vorfinden. Atzing im Chiemgau wird vom Namen Azo, auch Azzo hergeleitet. Azo ist eine Namenskurzform, vielleicht sogar eine Koseform. Das wirft die Fragen auf: War der Anführer Azo besonders beliebt? Oder war der Name, der dahintersteckt, ganz einfach viel zu lang? Der Namenforscher Max Gottschald – nicht: Gottschalk! – nennt den vollen Namen: „Azo“ verkürzt entweder „Adalbertus“ oder „Adelhelmus“.
Gut gemacht, ihr Baiuwaren: Unser heutiges Ortsschild „Atzing“ hat Vorteile gegenüber einem „Adelhelming“. In der Kürze liegt die Würze auch für Holling, wo die Kurzform Hollo über die Langform Hoholt gesiegt hat, Kurz- und Koseformen haben auch Anzing (Anzo), Feldolling (Ollo), Happing (Happo), Mailing (Milo), Natzing (Nazo), Ratzing (Razo), Weiching (Wigo), Willing (Willo) und viele andere. armin höfer