Neubeuern – Die Klaviersonaten von Mozart seien wie Opern, sagte der Pianist Herbert Schuch jüngst in einem Interview mit den OVB-Heimatzeitungen. Im Programmheft des Konzertes auf Schloss Neubeuern präzisiert er, in diesen Opern werde „geflirtet, gesungen, geredet, und alles ist immer in Bewegung und Interaktion“. Und manchmal Kampf, möchte man ergänzen. In der Tat durchlebt und durchleidet Schuch mimisch jede Phrase und jede musikalische Entwicklung, malt die Melodien mit der linken Hand in der Luft nach und manchmal hebt es ihn schier vor Spielenergie vom Sitz.
Chronologisch
gut durchmischt
Herbert Schuch begann mit diesem Konzert einen dreiteiligen Zyklus mit allen 18 Klaviersonaten, chronologisch wohldurchmischt, hier von der F-Dur-Sonate KV 280 aus dem Jahre 1774 bis zur vorletzten B-Dur-Sonate KV 570 aus dem Jahre 1789.
Flirten, Singen, Reden und Agieren also entdeckt Schuch in den Mozart-Sonaten. So hört sich die einleitende B-Dur-Sonate KV 291 wie eine Rokoko-Oper an mit neckischen Flirtversuchen in dem triller- und verzierungsreichen Kopfsatz, der liebesinnig schwelgenden Arie im „Andante amoroso“ und einem heiteren Hasch-mich-Spiel zwischen Taxus-Hecken im Finalsatz mit dem humorig-schnurrigen Schluss.
In seiner Lesart dieser Sonaten als theatralische Musik weiß Schuch sich einig mit Siegfried Mauser, der in seiner Monografie über die Mozart-Sonaten dieser Musik „prinzipiell kommunizierenden Sprachcharakter“ und „instrumental realisierten Theatercharakter“ bescheinigt. Schuch verschärft diese Tendenz zur Dramatisierung oft zu einem Lebenskampf. Da gibt es keine Nebensächlichkeiten, da sind selbst Verzierung prall mit Energie gefüllt, da moduliert er die Klangfarben so, dass man fast ein Orchester mit verschiedenen Instrumenten hört, da ereignen sich maximale Dramen auf minimalem Raum, da sucht Schuch das Drama in jeder Phrase und die Sensation in jeder Modulation. Dabei reizt er die Klangfülle des Flügels bis zur Schärfe und Härte aus, scheut auch keine schroff abgerissenen Akkorde – und weiß sich wieder einig mit Mauser: Diese Musik erreiche „eine derart kontrastierende Spannung auf engen Raum, dass sie an die Grenzen beabsichtigter ästhetischer Brüche reicht.“
Diese Interpretation ist – man hörte es in den Pausengesprächen – nichts für Mozart-Puristen, nichts für Liebhaber graziös perlender Klaviermusik, nichts für Menschen, die mit Mozartmusik ihr Leben ästhetisch schmücken wollen, und nichts für Menschen, die bei Mozart Trost suchen. Kein Trost – aber viel Beglückung.
Man staunt mit Schuch über die Unerschöpflichkeit der kontrastreichen und quirlig-witzigen Einfälle in den Final-Rondos: Manchmal wirkt es, als wolle der Komponist uns Hörern schelmisch eine Nase drehen, als biege die Musik plötzlich ab in labyrinthische Seitenwege, bis überraschend wieder das Thema auftaucht. Am beglückendsten waren die langsamen Sätze: tiefsinnig singende Adagios, Liebes- und vielleicht Lebensklagen, die durch behutsamen Pedalgebrauch beim Trillern sich in ein zauberhaft-verhangenes Notturno verwandeln (KV 311), mit Hornklängen wie ein Eichendorff’scher Nachtgesang (KV 570) oder gar schon wie eine ausschweifende Chopin-ähnliche (KV 280) Fantasie wirken.
Opern-Duell
auf Leben und Tod
Mit der an diesem Abend einzigen Moll-Sonate entließ Schuch die Zuhörer, nämlich mit der a-Moll-Sonate KV 310. „Bekenntnishaft“ sei diese Musik, schreibt Schuch – und hämmert das Kopfthema im Allegro – den Zusatz „maestoso“ vernachlässigend – fast wütig ins Zuhörerohr: Ein Opern-Duell auf Leben und Tod. Unruhig jagend kam das Finale, bis plötzlich der Mittelteil in lichtem A-Dur wie ein von fernher wehender Schubert-Gesang daherkam: beglückend. Als Zugabe spielte Schuch nochmal Mozart und nochmal ein Adagio, das aus Mozarts letzter Sonate KV 576, arios und träumerisch zugleich.