Rohrdorf – „Intensive Durchdringung“ sei das Kennzeichen des Hagen-Quartetts, hatte Johannes Erkes, selbst Bratsche spielender Leiter und Begründer von Festivo, gesagt. Und dass es ihm persönlich eine ganz besondere Freude und Ehre sei, dass das Hagen Quartett bei Festivo ein Gastspiel gebe. Zwei Meisterwerke von Ludwig van Beethoven (1770–1827) standen auf dem Programm: das zweite „Rasumowsky“-Quartett aus op. 59 von 1806 und das späte Streichquartett op. 130 von 1826. Beides selten aufgeführte Werke, dazu der intime Rahmen des Foyers von Schattdecor in Rohrdorf – schon mit den beiden schroffen, harten Akkorden am Anfang des Quartetts wurde die intensive Durchdringung für die Zuhörer hörbar, fühlbar, spürbar. Das zweite Quartett op, 59 (benannt nach dem Widmungsträger, Andrei Rasumowsky, dem russischen Gesandten am österreichischen Hof) ist Kammermusik, aber mehr als das, sie hat symphonischen Anspruch, sie ist sehr schwer, sehr virtuos und sehr konzertant. Und sie ist modern, man kann es gar nicht anders sagen. Erst nach der Generalpause – die Instrumente schweigen und das Publikum muss warten – spannte sich aus der Stille das Hauptmotiv mit einer leisen Melodielinie.
Innig, gefühlvoll gestaltete das Hagen-Quartett den zweiten Satz, tänzerisch den dritten Satz samt russischem Volkslied, ehe es im finalen presto mit einem wahren presto brillierte. Das späte Streichquartett op. 130 in der Urfassung mit der großen Fuge verlangte dann noch mehr Aufmerksamkeit. Sechs Sätze, und jeden einzelnen Satz faszinierend konzentriert, bis in den letzten Winkel durchdacht interpretiert, und doch lebendig frisch dargeboten. Beim ersten Satz war es das wunderbar rhapsodieartig abwechselnde allegro und adagio, das in den Bann zog, beim andante con moto des dritten Satzes das Kapriziöse, und beim alla danza tedesca im allegro assai wollte man sich bei den klaren viertaktigen Perioden beinahe mitwiegen. Umso schroffer dann der Wechsel zur Cavatina. Das adagio molto espressivo durchzog eine düstere, beklemmende Grundstimmung, auch wenn das kantable Motiv der ersten Geige von den Orchesterstimmen immer wieder anklang. Nicht minder expressiv gestaltete das Hagen Quartett dann die große finale Fuge. Als dunkel und völlig unverständliche Musik wurde jene Fuge schon zu Lebzeiten Beethovens bezeichnet, und in der Tat schimmert wenig Vertrautes durch. Der Satz ist gekennzeichnet von emotionaler und musikalischer Energie, das Medium Streichquartett wie auch der Zyklus eines mehrsätzigen Quartetts sind bis zum Zerreißen gespannt. Und diese Spannung hielt das Hagen-Quartett konsequent durch, das Publikum nicht minder konzentriert und angespannt. Da war es wenig überraschend, dass nach dem Schlussakkord und einer langen Stille erst verhalten, dann immer tosender der Schlussbeifall aufbrandete. Diese schwere Kost musste erst einmal verdaut werden. Das musste sacken. Da brauchte es keine Zugabe. Wie auch? Diese Musik steht allein. Für die Zuhörer – und nicht nur für den Impressario – war es wahrlich Freude und Ehre, dieser expressiv dargebotenen Kammermusik lauschen zu dürfen, sich der intensiven Durchdringung hinzugeben, zu genießen. Eine Sternstunde der Kammermusik. Elisabeth Kirchner