Eine imaginäre Wirklichkeit geschaffen

von Redaktion

Goethe-Gesellschaft Rosenheim Philosoph Michael Jaeger hält Vortrag über „Faust II“ und die Inflation

Rosenheim – „Das Ansehen Goethes könnte heute besser sein, denn er ist auf erstaunliche Weise aktuell.“ Diese Feststellung machte Michael Jaeger, Privatdozent für Philosophie in Berlin, zu Beginn seines aufschlussreichen Vortrags mit dem Titel „Der Zettel hier ist tausend Kronen wert – Goethes ‚Faust‘ und die Inflation“. Jaeger sprach auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim im Künstlerhof am Ludwigsplatz.

100 Jahre nach der Hyperinflation und 50 Jahre nach der Aufhebung der Golddeckung des Dollars ist das Thema „Inflation“ wieder in aller Munde. Goethe, der vom Zeitalter des Absolutismus bis zum Aufbruch des Maschinenzeitalters gelebt hat, habe die Entwicklung der Wirtschaft vom Spinnrad zum maschinenunterstützten Webstuhl genau verfolgt. Im Faust II hat sich der Dichter eingehend mit den neuen Produktionsverhältnissen und dem Thema Inflation beschäftigt.

Fausts Wette mit Mephisto bedeute eine Negation des Verweilens, der Augenblick werde für den Prozess des Fortschritts funktionalisiert. „Die Gegenwart wird übersprungen und die Realität durch eine andere Wirklichkeit ersetzt“, erklärte Jaeger. Es herrsche das Gesetz der pausenlosen Bewegung, mithin eine permanente Augenblicksnegation. Allein durch Helena erlebe Faust das Glück in Arkadien, wo noch natürliche Rhythmen und Perioden gelten, durch die Konzentration auf den Augenblick.

Der Begriff Inflation komme von dem Wort „inflare“, was so viel wie Hineinblasen beziehungsweise Blähen bedeute. Diese heiße Luft, die für eine Dampfmaschine als heißer Dampf zum Antrieb notwendig ist, entspräche dem Aufblähen der Geldmenge durch den Druck von Papiergeld. „Es kommt nun zum Anschwellen der Schulden, um Schulden für die auf Kredit gekaufte Dampfmaschine zu bezahlen“, so Jaeger.

Im ersten Akt von Faust II kennzeichne die bankrotte Gesellschaft ein Wirklichkeitsverlust. Mephistos Papiergeldprojekt, das das Schuldenproblem des Kaisers löst, bewirke eine Projektion des Goldwerts auf das Papier, es komme zu einer medialen Inszenierung unermesslichen Reichtums. Zunächst sei das Papiergeld durch das Gold gedeckt, das Papiergeld ermögliche reale Gewinne.

Im Zeichen des Papiergelds betrete dann im 5. Akt der Industriearbeiter die Szene. Dieser schaffe authentische Werte durch diverse Bauprojekte. Der Papiergeldschein aber sei selbstbezüglich, also wertlos. Die Naturverhältnisse verwandelten sich in Produktionsverhältnisse, durch den Verbrauch der alten Welt, der Ausbeutung von Ressourcen, komme es zu einem Gewinn einer neuen Welt. „Goethe war kein Hellseher, aber ein Realist“, betonte Jaeger. Dem Dichter sei die Unterscheidung von Sein und Schein wichtig gewesen. Mephisto habe versucht, durch imaginäre Golddeckung die Realverhältnisse zu vertuschen. Hergestellt werden aber müsse wieder eine Verbindung zum Ursprung: „Es muss der Versuch gemacht werden, in der Wahrheit zu leben.“Georg Füchtner

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