Schuberts „Winterreise“ in Vollendung

von Redaktion

Jonas Müller und Aris Alexander Blettenberg begeistern bei den Inselkonzerten

Herrenchiemsee – Sehr, sehr kurzfristig mussten die Organisatoren Nils Mönkemeyer und William Youn Franz Schuberts „Schwanengesang“, gesungen von Pavol Breslik, bei den Inselkonzerten auf Herrenchiemsee wegen einer Stimmbandinfektion des Sängers absagen. Das Konzert soll im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Binnen Stunden
Ersatz organisiert

Damit den Besuchern dennoch ein Liedernachmittag im ausverkauften Bibliothekssaal des Augustiner Chorherrenstiftes im alten Schloss geboten werden konnte, gelang es den beiden, innerhalb weniger Stunden ein herausragendes junges Talent zu verpflichten: den Bariton Jonas Müller, Jahrgang 1999, der zuletzt in der Berliner Philharmonie, dem Herkulessaal und der Hamburger Laeiszhalle zu hören war sowie im Münchner Cuvillie´s Theater 2022 in der Titelrolle von Mozarts „Figaro“.

Begleitet wurde Jonas Müller am Klavier von dem Pianisten, Dirigenten und Komponisten Aris Alexander Blettenberg, geboren 1994 als Sohn deutsch-griechischer Eltern. In 2022 gewann er den internationalen Beethoven Klavierwettbewerb in Wien und ist seit dem Jahr Bösendorfer Artist.

Zur Aufführung kam Franz Schuberts zweiter Liederzyklus, die „Winterreise“, mit den Texten von Wilhelm Müller.

Die „Winterreise“ ist der traurige Nachklang eines Liebeserlebnisses – eine Folge lyrischer Gesänge, wobei alle von düsterer melancholischer Stimmung in verschiedenen Schattierungen erfüllt sind. Der Sänger ist ein sensibler, sich seinen Gefühlen bewusster Jüngling, ähnlich den Helden der Entwicklungsromane der Zeit. Die düsteren Bilder spiegeln sich in den Gedichttexten mit poetischen Symbolen wie Wetterfahne, Irrlicht, Wegweiser oder Leierkasten anschaulich, schaurig und unheimlich.

Während manche der Zuhörer zu Beginn des Konzerts noch gesagt hatten, wegen der „Winterreise“ hätten sie sich wahrscheinlich nicht extra auf den Weg zur Herreninsel gemacht, gelang es Jonas Müller von den ersten Klängen an, mit seiner wunderschönen, warmen, modulierfähigen Baritonstimme und einer sensationellen Bühnenpräsenz ohne große Mimik und Gestik, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Kongenial begleitet von Aris Blettenberg am Klavier, spürte Jonas Müller tief hinein in Schuberts Weltverlorenheit, kostete das Gesangliche ebenso aus wie die harmonischen Abgründe, in die die Lieder führen.

Das erste der 24 Lieder „Gute Nacht“ ist ein Wanderlied, aber zugleich ein Nachtgesang voller Verzweiflung und Einsamkeit: „fremd bin ich gezogen…“. Nach dem zweiten Lied, der sich knarzend im Wind drehenden „Wetterfahne“ – Symbol für Unbeständigkeit – wird der Grund der Tragödie klar: das treulose Mädchen. „Gefror’ne Tränen“ (fallen von meinen Wangen ab) und „Erstarrung“ folgen, wobei die Staccati der Begleitung die eisigen Tränentropfen, in der Melodie den heißen Schmerz des Sängers ausdrückt: Schubert lässt Tonmalerei und Gefühlsausdruck verschmelzen. Der verlassene Jüngling ist im gesamten Zyklus zu jeder Zeit gegenwärtig, die Egozentrik des romantischen Lebensgefühls lebt sich voll aus.

Wunderbarer
Zusammenklang

Gebannt lauschten die Zuhörer dem wunderbaren Zusammenklang des Baritons mit den Tönen, die Blettenberg dem Steinway-Flügel zu entlocken wusste. Sehr einfühlsam mit wunderbar zartem bis sehr kräftigem Anschlag war die Begleitung nie dominierend, aber stets präsent. Nach dem letzten Lied, „Der Leiermann“, der frierend seine Leier in öder Monotonie dreht, herrschte im Saal gefühlt minutenlang Stille. Dann entlud sich der jubelnde Applaus, Bravorufe und Ovationen für die beiden jungen Musiker.

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