Schwabering/Hamburg – Rudl Endriß, Fachlehrer, Hochschuldozent, Maler, Schnitzer, Metall-Bearbeiter, Bildhauer und Kurator, ist nicht mehr. Gut zwei Wochen nach seinem 80. Geburtstag starb der Künstler in seiner Wahlheimat Hamburg. Bis vor gut einem Jahr lebte er noch in seinem Wohnhaus, mitten im Gewerbegebiet Schwabering, umgeben von hohem Wald.
Letzte Ausstellung
in Schwabering
Bei einem Interview vor drei Jahren hatte er von sich selbst gesagt, dass er immer noch vor Ideen strotze, auch wenn er nach einem Schlaganfall vor über 30 Jahren körperlich eingeschränkt war und mühselig das Sprechen wieder lernen musste. Im vergangenen Jahr hatte er „ein letztes Mal“ im Spätherbst zu einer Ausstellung geladenen und war – wie immer – ein charmanter Gastgeber. Jeden einzelnen Besucher und jede einzelne Besucherin begrüßte er persönlich.
Die vielen Weggefährten, Künstler, Freunde und Familie konnten und wollten es damals selbst nicht glauben, dass er wirklich „ein letztes Mal“ ausstellen wolle. Und doch sagte er, dass es gut sei und dass er nach Hamburg ziehen wolle, zu seiner Freundin Professor Karin Rabausch.
Alljährlich produzierte er einen Katalog, in dem er neue Werke präsentierte, sei es Schmuck, seien es Serien oder Skulpturen aus den unterschiedlichsten Materialien, in unterschiedlichsten Formen, Größen und Farben. Jährliche Ausstellungen über mehr als fünf Jahrzehnte quer durch Deutschland und Europa, Auszeichnungen, darunter unter anderem 2013 der Kulturpreis des Landkreises – sie zeugten von seiner unstillbaren Neugierde und scheinbar unendlichen Schaffenskraft. Facettenreich war seine Kunst. Er arbeitete mit Stein, Holz, Metall, Papier Stoff, Wolle und Gips – jedes Material gab in seinen Augen „was her.“ Schaufensterpuppen, Gartenzwerge, Bilder, Teppiche, Leinensäcke, Baumwolltücher, Holzfiguren, Geschirr, Besteck – für alles fand er eine Verwendung. Sein Wohnhaus bewies sein Gespür für Farben und für kunstsinniges Arrangements.
Bei der Ausstellung im vergangenen Jahr stand alles offen, Haus, Keller, Atelier und Garten waren Ausstellungsräume. Aufgeräumtes künstlerisches Chaos allerorten. Das Gesetz der Serie war ein Charakteristikum seiner Kunst. Ein weiteres, dass viele seiner Skulpturen und Objekte weiß bemalt oder besprüht sind. Damit löste er ganz normale Alltagsgegenstände aus ihrem gewohnten Rahmen, setzte sie in einen neuen Zusammenhang, machte Strukturen sichtbar.
In und rund ums Haus gruppierten sich Metall- und Holzoeuvres mit Gold und Silber verziert, stählerne, filigrane Figuren auf Holzstelen, weiß lackierte Metallschilder, in die Endriß Substantive geritzt hatte, Granitplatten, Besteck, das er wie einen Tannenbaum aufgeschichtet hatte, rechteckige Pappteller oder Holzspanstücke aus Obstkisten, die er strukturiert im Bilderrahmen aufgeklebt und somit zum Bild geadelt hatte.
Seine Exponate nimmt man „fast schon als selbstverständlich wahr, als zu unserem Leben gehörig“, hatte es anlässlich der Verleihung des Kunstpreises Laudator Kulturreferent Christoph Meier-Gehring formuliert. Und so ist es in der Tat, die Endrißschen Exponate aus Holz, Metall, Stein, Marmor, Bronze oder Gold fügen sich in die Umgebung ein. Seien es die menschlichen Spiegelbilder aus Stahlblech, montiert auf Granit in der Schmucken unweit des Romed-Klinikums Rosenheim, die Granitblöcke vor dem Lokschuppen, das „Mannschgerl“ vor der Grundschule Halfing, der Schiffszug auf dem Inndamm bei Rosenheim oder die 24 Plastiken an der B&S Tankstelle in Söchtenau.
Künstler im Gewerbegebiet
Oder die Stelen aus Mooreiche, 9000 Jahre alt, die am Eingang zum Gewerbegebiet Schwabering-Söchtenau aufgereiht grüßen. Ein Stück dieser Mooreiche pflanzte er auch in die Mitte seines Esstisches, einen ehemaligen Altartisch aus Travertin, ein.
Wie schon das Stück Mooreiche veredelte er auch seine sogenannten Hausgeister, schlichte, kaum 30 Zentimeter große und in ihrer Form auch an ein einfaches Kreuz erinnernde Hölzer, mit Gold und Silber. Auch wenn Gold und Silber an seinem Baumgrab fehlen, seine Kunst wird bleiben.