Kiefersfelden – Es gibt auch Weihnachtskonzerte ohne „O Tannenbaum“, „Stille Nacht“ und „Kling, Glöckchen, klingelingeling“, das heißt ohne die Lieder aus dem 19. Jahrhundert. Dies zeigte das von der Gambistin Annalisa Pappano geführte Catacoustic Consort in der Heilig-Kreuz-Kirche mit der Sängerin Veronika Mair und den Barockposaunisten Adam Bregmann und Robert Schlegl. Zusammen schufen sie ein Weihnachtskonzert der anderen Art: herber, sentimentalitätsfreier, dabei schlichter und inniger – und einfach zauberhaft.
Wobei „schlicht“ nur bedingt gilt: Die alten Weihnachtslieder (so zum Beispiel „Nun komm, der Heiden Heiland“ und „Vom Himmel hoch“) und auch gregorianischen Choräle („Puer natus est“) umwanden sowohl Michael Praetorius (1571-1621) als auch Ludwig Senfl (1486-1544) mit kunstvollen Tongirlanden, rhythmischen Auszierungen und melismatischen Erweiterungen, das heißt: Mehrere Noten kommen auf eine Tonsilbe: melodisch verspielt und umspielend. Oft kamen verschiedene Strophen auch von verschiedenen Komponisten, was sich aber zu einem schönen Geschlinge verband: Man hörte verschiedene Vertonungen, aber im gleichen Renaissancegewand.
„A soli ortus cardine“ ist ein alter vielstrophiger Hymnus, dessen 23 Strophen mit den Anfangsbuchstaben des fortlaufenden ABC beginnen. Der Hymnus besingt das Leben Jesu, wobei die ersten acht Strophen als Weihnachtshymnus dienen. Luther hat ihn übersetzt als „Christum wir sollen loben schon“. Veronika Mair begann mit der reinen Hymnus-Melodie, dann folgten Vertonungen von Thomas Stoltzer, Sixtus Dieterich und Resinarius. Wenn Mair sang, glaubte man, der Gregorianische Choral sei die natürlichste Art des Singens, so mühelos, rein und klar wie ein sprudelnder Bergbach klingt ihr Sopran. Ihre Kunstfertigkeit ist so perfekt, dass man sie nicht mehr hört. Nie übersteuert sie, wenn sie aber ihren Sopran einmal jubelnd aufstrahlen lässt und ihn über die Instrumentalbegleitung hebt, entschwebt ihre Stimme schwerelos bis zu der großen Kuppel der Kirche und tönt dort weiter.
Dunkler und damit geheimnisvoller wird ihre Stimme, als sie die Geburt Mariens besingt in „Nativitas tua, Dei Genitrix Virgo“, einer Antiphon, also einer Art Refrain im Gregorianischen Choral. Wenn die Instrumente dazukommen, nimmt sie sich manchmal ein bisschen zurück, so dass sich ein gleichwertiger vierstimmiger Chor ergibt aus Sopran, Gambe und Posaunen.
Dass Annalisa Pappano, diese Welt-Gambistin, die seit ein paar Jahren in Kiefersfelden-Mühlbach wohnt, ihre Gambe so beweglich wie gesanglich führt, weiß man. Dass das aber auch Posaunen können, stellte man mit erfreutem Staunen fest. Adam Bregman und Robert Schlegl, anerkannte und international gefeierte Könner ihres Instrumentes, behandeln ihre Posaunen wie menschliche Stimmen: weich im Ansatz, variabel in der Phrasierung und reichhaltig in der Klangsprache: ein ohrenschmeichelnder Hörgenuss.
Das so kunstvolle wie zauberhafte Weihnachtskonzert endete konsequent: Die zahlreichen Zuhörer, die vorher ergriffen gelauscht hatten (unter ihnen auch Bürgermeister Hajo Gruber), durften in ein bekanntes Weihnachtslied einstimmen, das ebenfalls von Michael Praetorius stammt: „Es ist ein Ros entsprungen.“
Danach kehrte man bei einem Becher Glühwein und der Besichtigung der ausgestellten Krippen im Pfarrheim wieder ins 21. Jahrhundert zurück.
RAINER W. JANKA