Erl – Oft ist Barockmusik was Gediegenes und Festliches für Festivalbesucher, also geeignet für den Beginn der winterlichen Tiroler Festspiele Erl. Als aber der russische Countertenor Iurii Iushkevich mit zwei Arien aus Händel-Opern auftrat, raste das Publikum im ausverkauften Festspielhaus.
Koloraturwellen
mühelos gesurft
Weniger sinnliches Säuseln, mehr metallene Kraft hatte seine Stimme. Als Typ wirkt er mit seinen langen blonden Haaren eher wie ein Surfer und er surfte auch mühelos-elegant auf den Koloraturwellen der Arien, konnte seine Stimme instrumental führen, setzte klug die Spitzentöne an, ziselierte feine Triller und Fiorituren (melodiöse Verzierungen) in der Wiederholung von „Lascia ch’io pianga“. Die Mezzosopranistin Bianca Andrew ließ sich davon geradezu entflammen und geriet in aufschäumende Raserei in der Arie „Doppo notte atra e funesta“ aus der Oper „Ariodante“. Sie war mit ihrem vollblütigen Mezzosopran auch dabei in der Bach-Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ BWV 147, mit der das Konzert begann. Nun ist der in den Opern eingesetzte Festspielchor, obwohl er akkurat sang, nicht gerade ein ausgewiesener Bach-Chor: Er bemühte sich redlich um die sorgfältige Aussprache des gewiss nicht leicht zu sprechenden barocken Textes, klang bei den Sopranen doch etwas kehlig und spitz. Dass die Texte auf das Laufband projiziert wurden, hatte da schon seinen Sinn. Dirigent Simone di Felice hatte sehr gelassene Tempi gewählt und ließ so den Instrumentalsolisten Raum zum Aussingen, den der Konzertmeister und die Oboisten gerne und mit Erfolg nutzten.
Die Sopranistin Clara Kim und der (eingesprungene) Tenor Carlos Cárdenas kommen merklich von der Oper: Kim mit Opern-Pathos und nicht kultivierter Höhe, Cárdenas mit hellem Timbre, schnellem Vibrato und Belcanto-Legato. Bianca Andrews, vor allem aber der Bassist Frederic Jost, dem man seine Bach-Kompetenz mit Freude anhörte, sangen dafür dramatisch-textbewusst.
Für die reine Instrumentalmusik setzte sich der Dirigent an das Cembalo und überließ den Musikern die Initiative. Die übernahmen Konzertmeister Francesco Iorio und seine Kollegin im 3. Brandenburgischen Konzert von Bach mit moderatem Schwung und festlichem Glanz und leiteten mit einem Piano in subtiler Spannung den in endlosen Sechzehntel-Ketten dahinjagenden Schlussteil ein.
Behagliche
Violontöne
Beschlossen wurde das winterliche Barock-Konzert mit dem Winter aus Vivaldis „Jahreszeiten“. Der Anfang hätte noch etwas frostiger und erstarrter sein können. Francesco Iorio präsentierte sich aber als souveräner Violinsolist, der die Behaglichkeit und Wärme am Kamin im Largo schön singend ausmalte, dann frei fantasierte und darein unmerklich „Jingle Bells“ einwob.
Den losbrechenden Schluss-Applaus beantwortete er mit dem Tanz der guten Geister aus Glucks „Orfeo ed Euridice“ und dann mit einem virtuosen Satz aus dem Concerto grosso Nr. 4 von Arcangelo Corelli.