Bad Aibling – Ein Kammermusikprogramm geht normalerweise chronologisch vor, etwa von Bach über Haydn zu Beethoven. Das jüngste Konzert der Reihe „Klassik! Bad Aibling“ im Kursaal ging anders vor, nämlich geografisch. Die Geigerin Soyoung Yoon und der Pianist Marcin Sikorski reisten programmatisch rund um Deutschland herum mit jeweils einer Komposition aus den Deutschland umgebenden Ländern. Das ergab ein höchst ungewöhnliches, überraschendes und sehr erfreuliches Programm mit Komponisten und Werken, die nicht jeder kennt. Es ist auch eine Konzentrations-Herausforderung für die Künstler: Sie müssen für jedes der insgesamt elf Werke sofort den richtigen Tonfall finden.
Zum Einstieg
gab es Bach
Natürlich begann es – in Deutschland – mit Bach, nämlich dessen Violinsonate Nr. 1 BWV 1014. Schon da begeisterte Soyoung Yoon mit versonnen-kantablem, elegantem und fein-süßem Ton, federnder Rhythmik und völligem Einklang mit ihrem Pianisten. Ein bisschen was von dieser deutschen delikaten Klarheit ging über auf das nächste Stück, die Sonatine op. 100 von Antonín Dvorák. Hier demonstrierte die Geigerin die Stärke der leisen Töne und federte im Finale körperlich mit im Reiter-Rhythmus. Als Abschluss gab‘s noch eine Violinsonate, die g-Moll-Sonate von Claude Debussy, von der Geigerin mit bohrender Intensität, stupender Virtuosität und rhetorischem Nachdruck dargeboten.
Zwischen diese Sonaten waren viele kleinere Stücke gestreut, wovon „Subito“ von Witold Lutosłwaski (1913 bis 1994) aus Polen den größten Eindruck hinterließ: Es beginnt mit impressionistisch verwischten Klavierklängen, wozu dann die Geige heftig bewegte und manchmal motorisch zerfetzte Passagen, atemberaubend schnelle Läufe und dann auch leis-wimmerndes Geigenflehen hinzufügt bis zum fetzigen Schluss – alles mit trotzdem erlesenen Schönklang gespielt. Fritz Kreislers (der österreichische Komponist) „Präludium und Allegro im Stil von Gaetano Pugnani“ war ein Violin-Stück für die Tribüne, von Soyoung Yoon mit eleganter Rasanz gespielt.
Nach der Pause wechselte die Geigerin ihr Kleid, von zartem Hellblau ins schwarzsilbern Glitzernde, die Stücke waren eingängiger: Das Klavier ahmte eine fontänenhaft aufschießende Quelle nach, wozu die Geige im Flageolett das Wasser zerstäuben ließ, alles in „La Fontaine d‘ Aréthuse“ von Karol Szymanowski (1882 bis 1937), womit Polen in der Auswahl doppelt bedacht war. Leidenschaftlicher Aufschwung charakterisierte die „Romanze in G-Dur“ von Carl Nielsen (1865 bis 1931) aus Dänemark, elegisches – und ein bisschen kitschiges – Fließen mit ein bisschen schlagerhaftem Tango-Rhythmus prägte „Le voile du bonheur“ des Niederländers Louis Andriessen (1939 bis 2021).
Bis die Bogenhaare flogen
Die einzige Komponistin, Lou Koster aus Luxemburg (1889 bis 1973), war mit einem kurzen Stück („Avant que tu ne t‘en ailles“) vertreten, in dem die gezupften Saiten wichtig waren. In dem hochromantisch-romanzenhaften „Rêve d‘ enfant“ von Eugène Ysaÿe (1858 bis 1931) aus Belgien durfte Yoon dann auf die Vibrato-Tube drücken, wohingegen es in „Nigun“ des Schweizer Komponisten Ernest Bloch (1880 bis 1959) hochernst und tragisch klagend zuging, von Yoon so energisch gespielt, dass die Bogenhaare flogen. Nach dem langen Beifall ließ das Duo sich rasch zu einer Zugabe bewegen, einem elegisch singenden Stück unbekannter Herkunft: Des Staunens über so viel verschiedene Musik war kein Ende.