Vom Glück musikalischer Erzählungen

von Redaktion

Der im Chiemgau lebende Komponist Abdullah Ibrahim veröffentlicht neue CD

Aschau im Chiemgau – Der Hausherr öffnet selbst. Mit einem charmanten Lächeln in seinen tief dunkelbraunen Augen begrüßt Abdullah Ibrahim die Besucherin. Am kommenden Freitag wird seine neue CD bei Gearbox Records herauskommen. Im Gespräch mit der südafrikanischen Jazz-Legende erzählt der Pianist und Komponist, der am 9. Oktober 90 Jahre alt wird, von sich, seiner Musik und warum der Fazioli-Flügel für ihn alles bedeutet.

Soli und
Trio-Stücke

Auf der CD mit dem schlichten Titel „3“ finden sich Anklänge an seine beiden früheren Solo-Alben „Dreamtime“ und „Solotude,“ aber es wechseln sich Soli und Trios ab. Zusammen mit zwei Musikern – dem Flötisten und Saxofonisten Cleave Guyton Jr. und dem Bassisten und Cellisten Noah Jackson – entführt Abdullah Ibrahim auf seinem Fazioli-Flügel in Klangwelten, bei denen die Melodien nahtlos ineinander übergehen und in der sich europäische, südafrikanische und amerikanische Einflüsse auf wunderbare Weise miteinander vermengen. Eine hohe Erzählkraft, ein Zauber wohnt der Aufnahme inne.

Dabei trägt die CD keinen Namen, sondern heißt schlicht „3“. Warum? Er stehe bei dieser Aufnahme nicht im Vordergrund, sondern „wir drei musizieren zusammen“, sagt Abdullah Ibrahim. Er gebe beispielsweise eine Melodie vor, dann steige der Bass mit ein („Nisa“) oder Cello und Querflöte antworteten charmant in Oktaven der Klavier-Melodie wie bei „Mindif.“ Das ergebe sich einfach so. Im Übrigen halte er es mit Thelonious Monk, der einst zu Charlie Rouse gesagt haben soll: „Just find a way how t o come in.“ (Finde einfach eine Stelle, wo du einsteigst.)

Seine beiden musikalischen Mitstreiter kennt er noch aus Zeiten seiner Band „Ekaya.“ Ekaya bedeutet auf Zulu „Heimat.“ Geboren und aufgewachsen in Kensington, einem der Armenviertel Südafrikas, fing Abdullah Ibrahim als Begleiter von Miriam Makeba an, wurde Bandleader der ersten südafrikanischen Jazzband, den „Jazz Epistels“, und war später erfolgreicher Musiker im Exil in Europa und den USA – auch dank seines Mentors Duke Ellington – und war doch immer mit einem Fuß in Südafrika. Was ist also Heimat für Abdullah Ibrahim, der seit 2012 in Aschau lebt? Heimat sei für ihn da, wo er Gelassenheit findet. Aus dem Fenster blicken, die Vögel singen hören, die Jahreszeiten erleben, auf die Berge blicken, auch das sei „home.“ Er sei Klavierspieler, ein Klavier könne man nicht mitnehmen, also brauche ein Klavierspieler ein Haus. Wobei Aschau – er blickt auf seine Partnerin, eine italienische Ärztin, die im Chiemgau arbeitet und die er in Südafrika kennen gelernt hat – für ihn von größter Bedeutung sei.

Apropos Flügel: Er spielt immer auf einem Fazioli-Flügel, was macht den Unterschied? Er vergleicht Flügel mit Autos: „A Fazioli is Ferrari,“ andere seien Volkswagen. Der Fazioli-Flügel, dessen Holz aus norditalienischen Wäldern stammt, sei reinstes Handwerk. Ein Fazioli-Flügel eröffne einen großen Bereich an Obertönen. Er summt die Melodie eines irischen Volkslieds, das nahtlos in einen afrikanischen Singsang übergeht, dann trommelt er mit den Finger auf den Holztisch, singt, schließlich fällt Marina mit ein: „shosholoza.“ Mitreißender African Beat, dabei ist es ein Song südafrikanischer Minenarbeiter.

Zurück zur CD: Wie kam das neue Album zustande? Es entstand im Rahmen seines ausverkauften Auftritts im Londoner Barbican Centre im Sommer 2023. Ein erster Teil wurde vor dem Konzert ohne Publikum direkt analog auf einer 1“‘-Scully-Tapemachine aufgenommen, die früher von Elvis Presley in den berühmten Sun Studios in Memphis benutzt wurde. Der zweite Teil ist der Live-Konzert-Mitschnitt. Wer reinhört, erkennt so manche Melodie wieder, und doch klingt es neu, anders. Entschleunigend wie bei „Water from an ancient wall“, verträumt beispielsweise bei „Dream time“ oder beschwingt („Ishmael“). Da verzaubern perlende Pianoläufe („Reprise“), da verneigen sich die Musiker vor „Tuang Guru,“ während „Blue Bolero“ spröden Charme versprüht.

Es ist ein Potpourri der Musik, mit der Abdullah Ibrahim aufgewachsen ist: Gospel und Jive, Jazz und klassische Musik, sakrale und weltliche Musik. Aber eben auch Arrangements von Stücken seiner Freunde Duke Ellington und John Coltrane. Wird anfangs noch das Konzert von Applaus unterbrochen, wird schnell deutlich, dass Abdullah Ibrahim und seine beiden Mitmusiker einfach durchgängig weiterspielen, weiter erzählen wollen.

Berührende
Zugabe

Als Zugabe singt Abdullah Ibrahim auf der CD ein an einen Gospelsong erinnerndes Stück. Es geht um Schiffe, um die Sklaverei und um Afrika. Erst auf Englisch, dann auf Zulu. Ein berührendes Ende für das Album. Er selbst aber, so betont er mehrfach, will nie aufhören Musik zu spielen. Es sei wie bei einem Kreis, der habe schließlich auch kein Ende.

Er wird auch heuer wieder weltweit auftreten. Anlässlich seines Geburtstages am 9. Oktober sind beim Hirzinger in Söllhuben drei Konzerte geplant. Eine letzte Frage noch: Sieht er sich mehr als Jazz-Musiker oder als Komponist? „I’am a composer.“ Das Klavier sei sein Instrument, aber er wolle zusammensetzen, erzählen. Eine nie endende Geschichte. Zum Glück gibt es am CD-Player den Wiederholungsknopf.

Artikel 2 von 6