Prien – Free-Jazz-Anklänge, radikale Echtzeit-Kompositionen und explosive Avantgarde-Flüge – die Ankündigung für den Abend bei Jazz am Roseneck in Prien verhieß Spannung. Und „Flight Mode“, vor zwei Jahren von dem in Berlin lebenden, in Finnland geborenen Sopran- und Sopranino-Saxofonisten Harri Sjöström mit der Pianistin Elisabeth Harnik (Österreich), dem Schlagzeuger Tony Buck (Australien) und dem Kontrabassisten John Edwards (Großbritannien) zusammengestellt, nahm tatsächlich sein Publikum mit auf eine musikalische Reise voller atmosphärisch aufgeladener Höhenflüge und träumerischen Klangwelten.
Free Jazz: Die ersten Töne mögen den Klassik-verwöhnten Zuhörer vielleicht erst mal nicht begeistern, vielleicht gar verstören, und doch muss man anerkennend sagen: Man kann nicht umhin, die Musiker ob ihrer Virtuosität zu bewundern. Free Jazz ist eine hochdisziplinierte Angelegenheit. Denn um zu spielen, was man will, muss man erst mal wissen, was alles möglich ist, und wie man das in eine gültige Fassung bringen kann.
Elisabeth Harnik ließ auf dem Flügel mal wilde Läufe in einer Geschwindigkeit perlen, die in nichts einer Yuja Wang nachstehen. Mal meinte man, Melodien der Klassik zu erkennen – erinnert das nicht an ein Ballett von Tschaikowski? – und dann stimmte sie Blues-Akkorde an. Extra-Melodien arbeitete sie mal mit einem Ball, mal mit den Händen, mal mit Stöckchen am präparierten Flügel mit ein.
Am Kontrabass gab sich nicht minder virtuos John Buck: Blitzschnell wechselte er vom pizzicato zum Bogen – den er mal in der deutschen, mal in der französischen Bogenhaltung spielte, um noch mehr Klangvielfalt zu erzeugen. Harri Sjöström auf den beiden Saxofonen blies ungemein anmutige Melodiebögen, verzierte sie hier mit einem Lauf, dort mit kleinen, wirbelnden Figuren. Und dann nahm er sich klanglich wieder zurück, mal mit Aluminium-Dämpfern, oder auch mal mit einem Plastikbecher.
Schlagzeuger Tony Buck gab ungerührt und souverän den Rhythmus vor, mit Sticks, mit dem Schlagzeugbesen, mit den Händen, mit Dampern. Da leuchtete das Becken auf, da hörte man das Tomtom. Allein schon das Zuschauen machte Spaß.
Die Musik war mal wild, ungestüm, aufbegehrend, energiegeladen, dann wieder sensibel, fein abgetönt und zart. Zwei lange Stücke gab das Quartett zum Besten – wohl nicht umsonst nennt sich das Quartett „Flight Mode“ (Flugmodus). Ein Zurücklehnen gab es nicht auf dieser Reise. Und doch wurden die Musiker erst nach einer Zugabe – die überraschend schnell, ungestüm und rau abhob (um in der Sprache der Flieger zu bleiben) und dann zu einer sanften Landung ansetzte – entlassen.
„Flight Mode“ bot einen wahrlich spannenden Abend. Das Ambiente war nicht minder aufregend. Denn der ehemalige Stadel, rund um einen Flügel zum großzügigen Wohnraum mit viel Kunst an den Wänden ausgebaut, wird von den privaten Gastgebern jeweils vom Wohnzimmer zum Konzertsaal umgebaut.
Wer sich auf Free Jazz einlassen will, und das in einer wahrlich besonderen Umgebung, dem seien die kommenden Konzerte empfohlen. Am Samstag, 2. März, spielt das Luca Sisera Quartett auf, am Samstag, 13. April gastiert das Jason Seizer Trio im Stadel am Roseneck. Weitere Infos unter www.salon21-prien.de/jazz/ oder direkt per E-Mail an mail@artefakt-kulturamroseneck.de. Elisabeth Kirchner