Rosenheim – Brahms und Dvorak vereint in einem Konzertprogramm – da war volles Haus im Kuko zu erwarten. Doch dem Publikum wurden anspruchsvolle symphonische Schwergewichte präsentiert: Das Violinkonzert von Brahms und Dvoraks Achte, die an Bekanntheitsgrad der Neunten „Aus der Neuen Welt“ nachsteht. Und als Vorspeise hatten das Tschechische National-Symphonieorchester und sein souverän-agiler Dirigent Jurek Dybal Brahms‘ „Akademische Fest-Ouvertüre in c-Moll“ serviert.
Bühne reicht für die
Musiker kaum aus
Beeindruckend schon der Aufmarsch des riesigen Orchesters, das die Bühne bis zum äußersten Rand beanspruchte. Schier beängstigend die konzentrierte Diszipliniertheit der Musikerinnen und Musiker: Kein Lächeln oder gar eine überflüssige Körperbewegung war ihnen anzusehen. Die gefühlten 100 Geigenbögen blitzten in synchron-straffer Bewegung wie Säbel, die den Sieg erzwingen wollen.
Humor zu Beginn? Ist bei einer „Fest-Ouvertüre“, noch dazu mit dem Zusatz „akademisch“ nicht schon Langeweile vorprogrammiert? Angeblich wollte der ansonsten eher humorfreie Brahms die akademische Welt „brüskieren“, wie Christoph Schlüren im Programmheft und in seinem amüsant-informativen Einführungsvortrag betonte. Uns sagt die versunkene Burschenherrlichkeit nichts mehr und wir kennen auch kaum die alten Studentenlieder, die Brahms kunstvoll einflicht, aber dass da ein frecher Gassenhauer eingeschmuggelt wurde, das nehmen wir doch wahr. Ein Schmankerl für uns Nachgeborene, die Professoren, denen diese Musik zugedacht war, mussten sich wohl doch etwas düpiert fühlen. Die triumphale Schluss-Apotheose mit dem unverwüstlichen „Gaudeamus igitur“ brachte in mehrfachem Fortissimo das Kuko an den Rand seines akustischen Fassungsvermögens.
Dann kam Alissa Margulis, deren Spiel als „expressiv“ und „hoch-emotional“ gerühmt wird. Das heißt freilich nicht, dass sich die Geigerin als Star inszenierte. Geradezu bescheiden diente sie dem sehr komplexen Violinkonzert als genaue, alle Feinheiten auslotende Interpretin. Die persönliche Ausstrahlung einer großen Künstlerin stellte sofort den Kontakt zum Publikum her, das gebannt ihrem silberhellen, elastisch schwingenden und kalkulierten Geigenton lauschte. Die Virtuosität plusterte sich nicht zum Selbstzweck auf, man nahm sie kaum als solche wahr, so selbstverständlich fasste Alissa Margulis auch ihre technische Akrobatik auf. Jubel nach dem rasanten dritten Satz plus obligater Zugabe.
Der Achten Symphonie Dvoraks fehlen zwar die Ohrwümer der Neunten, aber ihr Charme und ihre feine Farbigkeit reißen uns dennoch mit. Ihre locker („rhapsodisch“) gefügte Form lässt sie uns als „Freiluft-Musik“ erleben. Frische Luft weht freilich überhaupt bei Dvorak, denn er greift ja nie dem Schicksal in den Rachen, seine Durchführungen sind keine Titanenkämpfe.
Selbst das wildeste Getümmel ist „nur“ vitale Kraftentfaltung und letztlich im turbulenten Nationaltanz Furiant genetisch vorgeprägt. Selbst Dvoraks Melancholie ist nie depressiv, sondern harmonisch eingefügt in die Gesamtheit einer in sich ruhenden Gefühlswelt.
Dirigent Jurek Dybal, stets präsent, mit horrendem Körpereinsatz den riesigen Klangkörper zu feinsten Nuancen animierend, ließ es durchaus auch krachen – Blitz und Donner schienen die Atmosphäre zu reinigen.
Es ist heikel, bei höchstem Niveau zu mäkeln: Die letzte Erfüllung blieb aus, des Publikums Beifall war herzlich, nachdrücklich, aber das Parkett tobte nicht. Lag es am häufigen Fortissimo? Am wie eine scheinbar emotionslose Phalanx agierenden Orchester?
Ein wunderbar überzeugender Ruhepunkt war der zweite Satz (Adagio): Da blühten wiederholt zart schmachtende Motive auf, die ans Herz griffen, und mit größter Delikatesse, ja mit Herzblut musiziert wurden.
Zweite Zugabe
fällt kurz aus
Die zweite obligate Zugabe! Im wiegenden Dreiertakt blühte da die Melodie auf, doch nach kurzer Zeit, noch bevor noch das Orchester Fahrt aufnehmen konnte, winkte unvermutet der Maestro mit großer Gebärde ab. Schmiss oder Gag? Egal, es war, gewollt oder ungewollt, ein ironischer Fingerzeig: Was soll nach einem so opulenten musikalischen Programm noch ein überflüssig anmutender Schnörkel?