Bernau – Peng! – Allein dieses Wort sorgt schon für Aufruhr. Im Kopf, im Gefühl und überhaupt. In der aktuellen Ausstellung von Willee WTH Regensburger in der Galerie MarahArt in Bernau am Chiemsee (noch bis 1. März) ist es Leitmotiv, Erklärungsmodell und Einladung zu neuen Selbsterfahrungen. Der Enzyklopädist und weitgereiste Künstler aus Grabenstätt zeigt dort Gemälde und Installationen.
Zur Begrüßung lassen Regensburger und Galeristin Marah Strohmeyer-Haider den Besucher unvermittelt auf eine großformatige, ganz handfeste „Explosion in der Kaffeeküche“ prallen.
Überdimensionierter
Kaffeekessel
Wie aus einem überdimensionalen, überhitzten Kaffeekessel schießt eine Fontäne heißen Wasserdampfs in die Luft. Rote, blaue und giftgrüne Wolken verheißen nichts Gutes. Apfelbutzen, Espressotassen und Sektkorken fliegen durch die Luft. Farbige und weiße Blitz- und Zickzack-Linien halten wie Seismografen den Moment des Desasters fest.
Die Küche, das Herz jeden Hauses, Zentrum der Versorgung, von Wärme und sozialer Begegnung: Sie wird unvermutet zur Schreckenskammer von Chaos und Zerstörung. Wie konnte das nur geschehen? „Eine grauenhafte Situation, aus der zwangsläufig etwas Neues entstehen muss und neue Wege beschritten werden müssen“, erläutert Strohmeyer-Haider in der Diskussion.
Gerade heute, in einer Zeit von Multikrisen, die jedes normale Maß übersteigen, scheint das Gemälde wie ein Fanal und Schlüsselbild. Es macht, für jeden handfest nachvollziehbar, das Gefühl unsichtbarer Bedrohungen, Ängste und Nackenschläge greifbar, die oftmals aus dem Nichts kommen. Es stammt aus dem Jahr 1997, in dem eine ganze Serie weiterer „hochexplosiver“ Gemälde entstanden sind. Regensburger hat darin auch eigene Erlebnisse von Bomben-Explosionen in Bologna, Paris und Jerusalem verarbeitet. Einige Motive dieser Serie sind in der Ausstellung zu sehen. Gerade vor dem Hintergrund gegenwärtiger Kriegs-Gräuel sind sie aktueller denn je. Das immer wieder mit Ironie grundierte und mit Lust betriebene Spiel Regensburgers mit der Vieldeutigkeit von Bild-, Sinn-, Text- und Stilebenen ist auch in Bernau zu erleben. Kombiniert mit der Kunst, ganz unterschiedliche Themen zusammenzupacken, auf dass sich das Ganze in Diskurs und Diskussion höchst trefflich gegenseitig auflade. So gerät das Gemälde „Weltanzünder“, das sich auf Streichholzbriefchen bezieht, schnell zum Gegenstand aufgeregter Gespräche über politische Brandstifter.
Zu einer Entdeckungsreise ins All, in ferne Sternennebel, Galaxien und Materiewolken laden Regensburgers bildhafte Momentaufnahmen ins Universum sowie in den „Beginn“, das „Zentrum“ und das „Ausklingen“ der Schöpfung ein. Wer genau hinschaut, entdeckt die virtuose Schichtung unterschiedlicher Farbfolien aus Tusche und Gummi arabicum, die Tiefe entstehen lassen oder Oberflächen wie Haut, kombiniert mit grafischen Elementen und Zeichen, die zu symbolhaften Chiffren verdichtet werden. Holt man weiter aus, schimmert das Inferno Dantes durch, der mit seiner Schöpfung der „Göttlichen Komödie“ Unsterblichkeit erlangt hat. Nicht weniger reizvoll sind die Objektkästen von Regensburgers „Ludwigsmädchen“. Die aus Holzbüsten, Gipswasser, Wachs, Farbe und einer schottischen Plaiddecke geformten Figuren erinnern an altrömische Hausgötter („Penaten“), die oft in Nischen verehrt wurden. Mit dem Namen spielt Regensburger auf Vorbilder an, die der Schokoladenfabrikant und Kunstsammler Peter Ludwig der Antikensammlung des Museums Schloss Wilhelmshöhe in Kassel gestiftet hat. Die Faltenwürfe stehen in Beziehung zu den Ideen der Kunsthistoriker Erwin Panofsky und Aby Warburg über die Sprache der Falten in der Kunstgeschichte. Die gefrästen Hölzer der Kästen stammen aus der Marmorproduktion und spielen so auf das Ursprungsmaterial der Penaten an. Aufgeladen mit kulturellem Wissen, in das sich Regensburger immer wieder mit enzyklopädischer Wissbegier vertieft, entwickeln die Objektkästen ein ungewöhnliches ästhetisches Eigenleben, das den Betrachter packt. Nicht weniger gilt dies für eine Reihe miniaturhafter Indianerporträts von den Oglala, Crow oder Apache voll symbolischer Verdichtungen.
Der Wurzeln
beraubt
Sie entstanden als Hommage an persönliche Besuche und Freundschaften mit Menschen, deren Vorfahren durch das „Peng“ kulturell vermeintlich höherwertiger Besiedler ihrer kulturellen Wurzeln beraubt wurden.
Die Ausstellung in der Galerie MarahArt in Bernau, Chiemseestraße 20, ist bis Freitag, 1. März, am Dienstag, Donnerstag und Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet sowie am Donnerstag von 10 bis 12 Uhr. Die Möglichkeit zum Künstlergespräch besteht am Samstag, 17. Februar von 14 bis 18 Uhr. Finissage ist am Freitag, 1. März, um 17 Uhr.