Mit Musik den Nerv der Zeit treffen

von Redaktion

Interview Grammygewinner Christian Reif über die Auszeichnung und seine Liebe

Stephanskirchen/München/Los Angeles – Zwischen Verpflichtungen in Seattle und München nimmt sich Christian Reif Zeit für ein Telefonat. Der frischgebackene Grammy-Gewinner studierte Dirigieren am Mozarteum in Salzburg und an der Juilliard School in New York. Seit 2022 ist er Direktor des Lakes Area Music Festival in Minnesota und seit 2023 Chefdirigent des Gävle Sinfonieorchesters in Schweden. Er und seine Frau Julia Bullock haben in der Kategorie „Best Classical Solo Vocal Album“ für das Album „Walking in the Dark“ einen Grammy verliehen bekommen. Wie man sich als Grammy-Gewinner fühlt, verrät er im OVB-Interview.

Wie fühlt man sich als Grammy-Gewinner?

Nicht anders als vorher.

Wo waren Sie, als bekannt gegeben wurde, dass Sie einen Grammy gewonnen haben?

Wir konnten aufgrund anderer Verpflichtungen leider nicht in Los Angeles sein und haben den Abend in München verbracht. Da die Verleihung aufgrund der Zeitverschiebung bei uns in Deutschland mitten in der Nacht stattgefunden hat, haben wir bereits geschlafen (lacht). Unser Sohn hat uns dann jedoch aufgeweckt, weil er gestillt werden musste.

Dadurch haben wir von der Auszeichnung erfahren und haben die zahlreichen Nachrichten von Freunden, Familie und unseren Managern gesehen. 

Haben Sie und Ihre Frau damit gerechnet, zu gewinnen?

Nein, damit rechnen kann man ja nie. Es gab viele andere großartige Künstler, die mit uns nominiert waren. Mit einigen von ihnen sind wir sogar befreundet. Wir haben uns natürlich Chancen ausgerechnet, sind aber ohne Erwartungen in den Abend gegangen. Es ist schon eine Ehre, überhaupt nominiert zu werden. 

Einen Grammy gewinnt man nicht alle Tage: Was fühlt man in so einem Moment?

Wir haben uns natürlich wahnsinnig gefreut. Es ist eine großartige Ehre und Auszeichnung. Wir lagen dann erst mal ein paar Stunden wach und konnten nicht mehr einschlafen. Was an sich kein Problem gewesen wäre, wenn ich nicht am nächsten Morgen nach Seattle hätte fliegen müssen (lacht). 

Also gab es keine große Party?

Nein, ich habe mich mehr über die Tatsache gefreut, dass meine Frau Julia und ich an dem Abend in der gleichen Stadt waren. Eine Woche später haben wir dann mit einigen Leuten angestoßen. Aber: Wir sind genau die Künstler, die wir auch vor der Auszeichnung waren. Für uns wird sich nichts verändern. 

Außer, dass sie jetzt zwei Grammys zu Hause stehen haben.

Noch nicht. Die werden im Moment erst graviert und anschließend per Post verschickt.

Haben Sie schon eine Idee, wo Sie die beiden Auszeichnungen hinstellen werden?

Wir werden sie als Türstopper benutzen (lacht). Nein, natürlich nicht. Ich denke, einen werden wir aufs Klavier stellen, bei dem anderen müssen wir uns noch einen Ort überlegen. 

Macht man Musik, um Grammys zu gewinnen?

Nein, meine Frau und ich lieben es, Künstler zu sein. Wir lieben es, mit unserer Kunst Menschen zu berühren, sie zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen.

Kunst hat in unserem Leben – aber auch in der Gesellschaft – einen hohen Stellenwert. Wir machen Musik, weil es uns wahnsinnig viel Spaß macht. Aber natürlich ist es auch schön, eine Auszeichnung zu bekommen. Zumal sie zeigt, dass auch Kollegen und Kolleginnen aus der Musikszene gut finden, was wir machen. 

Erhöht eine solche Auszeichnung den Druck?

Das weiß ich noch nicht (lacht). Wir sind ja, wie gesagt, immer noch die Künstler, die wir vor der Auszeichnung waren und werden unsere Kunst nicht anders betreiben. Wir machen einfach so weiter wie bisher. 

Was macht das Album „Walking in the Dark“ so besonders?

Das Album knüpft an so viele Themen an. Es ist schon auch unterhaltsam und lädt den Hörer dazu ein, gemeinsam eine Reise zu unternehmen. Aber es ist kein Album, das man mal schnell im Vorbeigehen hört. Man muss sich Zeit nehmen. Es ist Musik, die nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt. Angefangen von dem Lied „Brown Baby“ bis hin zu „Who knows where the time goes“ deckt das Album eine ganze Bandbreite von Themen ab. Es geht unter anderem um Liebe, Erinnerungen, Einsamkeit, Gewalt, Unrecht und Diskriminierung. Diese Themen haben uns in den letzten Jahren – aber natürlich vor allem Julia, als „Person of Color”, als schwarze Frau – bereits ihr ganzes Leben lang begleitet. 

Sie und Ihre Frau haben das Album mitten in der Pandemie aufgenommen.

Es war eine Zeit, in der wir quasi gezwungen wurden, daheim zu bleiben. Die ersten Wochen und Monate waren toll, weil wir viel Zeit miteinander verbringen und gemeinsam unsere Heimat genießen konnten. Aber nach einer Weile ist uns die Situation natürlich auch aufs Gemüt geschlagen. Wir konnten unserer Passion nicht mehr auf der Bühne nachgehen. Ich als Dirigent brauche immer auch andere Menschen. Also haben wir daheim Musik gemacht. Ich habe wieder angefangen, Klavier zu spielen, Julia hat gesungen. Wir haben jeden Abend Lieder von Brahms, Schubert oder Kurt Weill gesungen und hatten dabei unheimlich viel Spaß. Einige Stücke haben wir aufgenommen und in die sozialen Medien gestellt. Viele dieser Stücke haben uns durch die Zeit geholfen und haben es später auch aufs Album geschafft. Eben weil es Stücke sind, die nicht nur unterhaltsam sind, sondern auch den Nerv der Zeit treffen. 

Glauben Sie, es ist die Aufgabe von Künstlern, den Finger in die Wunde zu legen?

Absolut. Es ist unsere Aufgabe, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und unsere Werte hochzuhalten. Musik kann Emotionen hervorrufen, anders als es beispielsweise in einem Gespräch möglich wäre. Unser Auftrag ist es eben nicht nur, für Unterhaltung zu sorgen, sondern auch zum Nachdenken anzuregen. 

Verstehen die Menschen die Botschaft hinter den Liedern?

Ich hoffe es, aber es muss auch nicht immer sofort klar sein. Es kann auch manchmal erst beim zweiten Hinhören klar werden. Und viele hören Musik auch nur zur Unterhaltung. Das ist überhaupt nicht verwerflich. Für mich ist die beeindruckendste Musik jedoch immer die, die mich zum Nachdenken bringt und Fragen aufwirft. 

Gibt es, mit Blick auf die Zukunft, noch Dinge, die Sie unbedingt erreichen wollen?

Ich möchte weiterhin mit großartigen Künstlern zusammenarbeiten. Mir ist es wichtig, eine tolle Atmosphäre zu schaffen und Menschen mit meiner Musik zu erreichen. Sowohl Julia als auch ich sind auf der ganzen Welt unterwegs und haben daran viel Spaß. Wir wollen auch in Zukunft an gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten. 

Interview: Anna Heise

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