Prien – Eigentlich ist Jon Fosses „Morgen und Abend“ ein Roman, aber kein Theaterstück. Dem Schauspieler Christian Wirmer ist es jedoch eindrucksvoll gelungen, auf Einladung der Christengemeinschaft Prien Fosses Geschichte vom Leben und Sterben des Fischers Johannes auf die Bühne zu bringen. Bei Wirmer stehen nicht Requisiten, sondern das Wort im Vordergrund, das aber die Empfindungen, die Verlorenheit und Einsamkeit des Protagonisten nur unvollkommen umkreisen kann. Wirmer kompensiert dies in Stimme, Mimik und Gestik mit seiner fesselnden Schauspielkunst.
In sanftem Tonfall fängt Wirmer das Wunder der Geburt ein: „Weich und warm und weiß und alles ist still“. Der kleine Johannes wird das Licht der Welt erblicken, aber er muss hinaus in eine kalte Welt. Der Mensch, grübelt sein Vater, geht „vom Nichts zu Nichts: Das ist das Schicksal für alle: Menschen, Häuser, Vögel, Fische.“
Aber es gibt auch das andere, den blauen Himmel, die Bäume, an denen Blätter wachsen. Und Johannes liegt an der Mutterbrust und saugt, und alles ist gut.
Wirmer gibt dem Unaussprechlichen einen ergreifenden Ausdruck. Bewusst setzt er Pausen, so dass im Publikum die Stille förmlich zu hören ist. Die Sätze sind kunstvoll rhythmisiert, kurz und knapp, sie berühren und machen nachdenklich.
Zu Herzen geht die Rückschau, als Johannes, mittlerweile ein alter Mann, steif und starr, sich an sein erfülltes Leben als einfacher Fischer erinnert. Traum und Erinnerung fließen ineinander, sein engster Freund, mit dem er oft zum Fischen hinaus auf dem Meer war, seine Frau, die ihm sieben Kinder geschenkt hat, sind längst gestorben, aber ganz gegenwärtig.
Johannes geht in den Schuppen, wo alle die Dinge aufbewahrt sind, die ihn sein Leben lang begleitet haben. Nun ruht alles in sich, strahlt eine Ruhe aus, ist alt wie er selbst. Die Menschen gehen fort, die Dinge bleiben da. Sein Freund, der Johannes mal das Leben gerettet, ihm aus dem kalten Meer gezogen hat, „ist doch tot, aber jetzt steht er da.“
Unter die Haut geht das wie in einer Traumsequenz fortlaufende Gespräch mit dem Freund, den er immer wieder ruft, der ihn aber nicht hören kann. Symbolisch für das Lebensende, so scheint es, trinkt Wirmer in einem Zug eine kleine Plastikflasche voll Wasser aus, die er danach mit lautem Knistern zerdrückt.
Bewegend ist Johannes´ zarte Liebe zu Erna, seiner späteren Frau, und die Sehnsucht nach seiner Tochter Signe, die regelmäßig nach dem alten Mann schaut und ihn tot im Bett findet. Im Jenseits aber leuchtet ein goldenes Licht. „Alles, was Du liebst, ist dort“ tröstet ihn sein Freund. „Alles, was Licht und Wasser ist, ist alles eins und zugleich verschieden.“ Wirmer kniet ruhig und langsam nieder, verschiebt ein Holzbrett, dann geht das Licht aus. Nach kurzem Innehalten des Publikums erhält er für seine packende Darbietung minutenlangen Applaus. Georg Füchtner