Wasserburg – Zwei einladende rote Samtsessel – „Nicht setzen“, bittet Adidal Abou-Chamat, denn im Objekt „Gender-Bender“ stecken Leuchtbilder, etwa eine indische Transfrau und ein Plan, wie aus einer Frau ein Mann wird. Es geht in der Schau um die Frage nach der eigenen Identität und dem mächtigen Einfluss der anderen darauf.
Mit Bayerischem
Kulturpreis geehrt
Katrin Meindl, Vorsitzende des AK 68, freute sich über den Andrang bei der Eröffnung der Ausstellung „Shifting Lines“. Die Kunstinteressierten versuchten, die durchscheinenden Collagen und die inszenierten Fotografien zu entschlüsseln: Etwa das Foto des jungen Mädchens, das in der Hand eine Kerze hält, wie zur Kommunion. Bei der brennenden Kerze handelt es sich jedoch um eine schwarze, nackte Frau. „Die Kerze stammt aus einem Einrichtungshaus in Berlin“, erklärt Adidal Abou-Chamat. Die Arbeiten der Deutsch-Syrerin beschäftigen sich mit Rassismus und Diskriminierung in allen Lebensbereichen. 2023 zeichnete Kunstminister Markus Blume die 66-Jährige dafür mit dem Bayerischen Kulturpreis aus.
Bis sie mit sechs Jahren nach München kam, lebte sie in Saudi-Arabien. Dort arbeitete der syrische Vater für Siemens. Alte Fotos erzählen von ihrer Kindheit. Etwa das von ihr auf dem Arm ihrer deutschen Mutter, angezogen wie ein Scheich. „Ich hätte Ahmed heißen sollen, mein Vater hat sich einen Sohn gewünscht, mich so behandelt.“
Auf ihr Leben im Mittleren Osten beziehen sich arrangierte Fotos. Das geschmückte westliche Wasserklo oder die Waschmaschine unter der Rüschendecke: „Das waren Statussymbole für die saudische Mittelschicht. Die westliche Toilette war Gästen vorbehalten.“ Ironisch überspitzt sie Geschlechterrollen, ein Foto zeigt einen Frauenpantoffel eine Armlänge hinter einem Männerpantoffel, der auf einem Gebetsteppich liegt. Das klassische Ballett bedeutet an sich schon eine Qual für den Körper. Abou-Chamat zeigt in einer Fotoserie von eine Ballerina in Riad verschleiert, nur die Augen sind frei. Verhüllt schwitzt sie, trainiert und hofft, so verschleiert einmal etwas aufzuführen zu dürfen.
Kritik am
„westlichen Blick“
Adidal Abou-Chamat hat ihre provokanten Werke schon vielerorts gezeigt – in der arabischen Welt jedoch nicht. Neben Kunst in England und den USA hat sie Ethnologie studiert, kritisiert „den westlichen Blick“. Sie zeigt auf dem Foto „Bittersweet“ eine schwarze Frau mit einer Schachtel mit Schokoladenhänden, ein beliebtes Souvenir aus Antwerpen. Diese Hände lesen sich für Abou-Chamat jedoch als „zynischer, ahistorischer Umgang mit der eigenen Vergangenheit“. Das Mitbringsel lässt sie an die Kolonialzeit in Belgisch-Kongo denken, als Schwarzen, selbst den Kindern, die sich der Zwangsarbeit widersetzten, die Hände abgehackt wurden.
Auch in ihren Videoarbeiten geht es um solche „Kippmomente“, wie sie sagt. In „Flesh-Dance“ tanzt eine Bauchtänzerin im Militär-Tarnkostüm zu arabischen Liebesliedern auf echtem Fleisch. „Wie funktioniert Macht?“, diese Frage zieht sich durch die Ausstellung und das von Adidal Abou-Chamat. Ihre Antworten sind die einer Grenzgängerin – bildstark und visionär zugleich.