Rosenheim – Hand aufs Herz: Wer von den Musikfreunden, ja selbst den speziellen Barock-Fans, hat Musik der französischen Meister Rameau oder Couperin im Ohr, eine griffige Melodie, wenigstens ein Motiv? Bei Bach oder gar Vivaldi kein Problem. Liegt es daran, dass die Musiker, die von den wärmenden Strahlen des Sonnenkönigs gefördert wurden, gar keine Barock-Komponisten waren? Denn die Franzosen selbst nennen diese Epoche ja „Classizisme“!
Unbekannte musikalische Welt
Nun kam der phänomenale Trompeter Gábor Boldoczki mit dem Janácek Chamber Orchestra nach Rosenheim ins Meisterkonzert, um unter dem Motto „Versailles“ das Publikum in eine relativ unbekannte musikalische Welt einzuführen. Daran lag es wohl, dass die Reihen im Kuko nicht wie bei Dvorak oder Tschaikowski dicht geschlossen waren. Schade!
Die stilistische Einheitlichkeit geriet nicht zum Eintopf, schon weil das Programm klug und abwechslungsreich konzipiert war. Kein höfisches Zeremoniell, keine steife oder gar prunkvolle Repräsentationsmusik wurden zelebriert, sondern eine farbige und im Detail erfindungsfreudige Musik ließ die anwesenden Zuhörer zwar nicht frenetisch, aber doch sehr herzlich applaudieren. Edel-Langeweile ist anders!
Jean-Philippe Rameau gleich zu Beginn: Seine Ballett-Oper „Les indes galantes“ könnte uns vom Plot her wenig reizen, zudem ist der Kampf der Invasoren mit den Indianern kein Ruhmesblatt mehr. Mit einigen prägnanten Musiknummern daraus gaben die Musiker aus Tschechien vom ersten Ton an eine glänzende Visitenkarte ab. Das Kammerorchester, ausnahmslos Streicher, musizierte stehend, wurde natürlich vom Cembalo klanglich grundiert.
Auch optisch erlebte man die homogen lebendige Einheit des Orchesters an den mitschwingenden, auch energischen Körperbewegungen. Der Kontakt zum Publikum ließ nichts zu wünschen übrig. Ein Extra-Lob dem Sologeiger und Leiter Jakub Cernohorsky!
Star des Abends war natürlich der Solist. Mit Rameaus „Contredanse très vive“ aus der Oper „Les Boréades“ (da wird’s Frühling!) lieferte er vor der Pause einen richtigen Knaller. Der schnelle Wechsel zwischen Trompete und Streicher heizte die Stimmung an, die Virtuosität Boldoczkis war atemberaubend und von einer Schwerelosigkeit, die schlichtweg beglückte. Die kurzen Motive überstürzten sich, und als dann das Tamburin noch den Rhythmus peitschte und pfefferte, war unmissverständlich eine Lanze für den französischen Klassizismus gebrochen.
Zwei Solokonzerte von Jean-Marie Leclair und Michel Blavet hatte sich Boldoczki von Soma Dinyés für Flügelhorn einrichten lassen. Leicht, luftig und geschmeidig klingend ließ dieses Instrument vergessen, dass eigentlich Oboe beziehungsweise Flöte am Werk sein sollten. In Leclairs Konzert bezauberte die Stimmung des „Adagio“ mit den serenadenhaft wirkenden Pizzicati. Blavets Konzert punktete mit Charme, fülligem Klang, schmeichelnder Melodik und einem überraschend effektvollen Schluss.
Der Vollständigkeit wegen ist nachzutragen: Von Couperin gab es Kostproben aus den „Concerts Royal“, von Michel Corette ein „Concerto comique“ und zu guter Letzt sei auch der hier unbekannte Jean-Joseph Cassandés de Mondonville erwähnt.
Als Zugabe
gab es Vivaldi
Fast etwas unfair: Als Zugabe erklang ein gefühlvoll-arioser Vivaldi. Im ersten Moment glaubte man sich in die Romantik versetzt – venezianisches Gondelgeschaukel, Mondschein… O-Ton einer Besucherin: „Der Vivaldi ist halt doch schöner!“ Da sieht man wieder, wie wir unser Empfinden durch Gewöhnung manipulieren lassen…