Wasserburg – Unter einem Rathauskonzert stellt man sich unwillkürlich etwas gediegen Bekömmliches vor, jedenfalls eine Kost, die dem von des Tages Müh‘ und Plag‘ gestressten Musikfreund wieder ins seelische Gleichgewicht bringt. Das erste der Wasserburger Rathauskonzerte mit dem Minguet-Quartett bot jedoch ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Programm. Ein relativ kurzes Scherzo von Arnold Schönberg begann den Reigen, dann folgten Bearbeitungen zweier Lieder von Gustav Mahler, ein ausgewählter Satz aus dem umfänglichen späten Streichquartett in a-Moll von Beethoven und schließlich das alle Dimensionen sprengende Streichquintett in C-Dur von Franz Schubert.
Präzise Programmfolge
Die Programmfolge wirkte präzise austariert und war alles andere als ein beliebiger Gemischtwarenladen. Den vier Komponisten ist etwas sehr Existentielles gemeinsam, nämlich diese „Weltverlorenheit“, die in dem von Mahler vertonten Rückert-Lied thematisiert wird – für Streichquartett bearbeitet von Annette Reisinger. Schönberg kam schließlich die Tonalität „abhanden“: In seinem dichtest gewebten Scherzo presst er gewissermaßen diese Tonalität aus wie eine Zitrone und entlockt ihr blitzende, überraschende Klangfarben von irrlichternder herber Süße, welche das Minguet-Quartett mit Hingabe und Leidenschaft zur Entfaltung brachte. Darf man aus einem Beethoven-Opus einen Teil herausbrechen, um diesen isoliert aufzuführen? Man darf, wenn sich dieser Torso schlüssig ins Konzept einfügt.
Der Hinweis Beethovens „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit“ klingt schon sehr pathetisch. Doch die Musik belehrt uns eines Besseren. Alles nur minimal Zeitbedingte ist da abgefallen, wir selbst fühlen uns als „Genesene“. Aber wir müssen ja einen Beethoven nicht loben, umso mehr die Musiker. Ulrich Isfort als Primarius führt mit delikater Virtuosität, Annette Reisinger an der zweiten Violine perfektioniert den betörenden Geigenschmelz, Aida-Carmen Soana beglückt mit warmem Bratschenton und Matthias Diener, Violoncello, bringt sein Instrument mit Grandezza und sonorer Wucht ins Spiel. Wie aus dem Nichts lässt das Quartett die Töne aufblühen, eine lichte Farbigkeit prägt das Klangbild und von dem trotzigen Heros, der „dem Schicksal mit der Faust in den Rachen greift“ ist nichts mehr übrig geblieben…
Nach der Pause wurde Mahlers „Urlicht“ aus der „Auferstehungssymphonie“ dem Schubertschen Quintett als Motto vorangestellt: Diese erdenferne, allem Schmerz enthobene Gelöstheit war dem todkranken Schubert nicht vergönnt. Er hadert mit seinem Schicksal, aber in diesem Hader findet er unendlich innig-süße Töne, fernab jeder Konvention, fernab auch jeglicher Sentimentalität (aber auch Schubert muss nicht mehr gelobt werden!). Schon der scheinbar überlange erste Satz, magisch eindringlich, animierte einen Teil des aufmerksam lauschenden Publikums zu vorzeitigem Applaus. Immerhin, diese Musik kam an, und ohne Hüsteln oder sonstige Störgeräusche konnten die weiteren Sätze erklingen. Der enthusiastische Schlussbeifall nach knapp einer Stunde konnte sich dann ungebremst entfalten.
Ein kleines Wunder der zweite, Adagio überschriebene Satz mit den „himmlisch langen“ Streicherklängen, die nur durch Pizzicato-Akzente strukturiert waren.
ARD-Preisträger
mit an Bord
Übrigens holten sich die Minguets für das Schubert-Quintett als fünften Mann einen einstigen ARD-Preisträger, den Cellisten Jens Peter Maintz, ins Boot. Nun wurde die Viola quasi das Zünglein an der Waage, vielleicht sogar die goldene Mitte, denn Aida-Carmen Soana hielt mit ihrem beseelten Spiel die Balance zwischen Violinen und Celli. So sehr die Minguets die Zuhörer in ätherisch-entrückte Welten zu entführen wussten, konnten sie doch auch kämpferisch mit dem Bogen „säbeln“, denn Schubert gab genug Gelegenheit zu harschen Akkordschlägen! Die ungarischen Reminiszenzen im Scherzo wirkten weniger folkloristisch als vielmehr brachial – wollte da Schubert verzweifelt Porzellan zerschlagen? Und dann die letzten Takte: Versuchte der Komponist, die konventionellen Schluss-Floskeln zu übertrumpfen oder gar zu parodieren?
Ein bestürzend aufwühlendes Konzerterlebnis war zu Ende gegangen, das man so schnell nicht abschütteln kann und will. Der Begriff Nachhaltigkeit hat hier seine volle Berechtigung.