Rosenheim – „Es geht in meinem Buch nicht um Goethe als Dichter, sondern nur als Vater seines Sohnes August“, klärte Stephan Oswald das Publikum gleich zu Beginn seiner fesselnd und frei gesprochenen Ausführungen im Künstlerhof am Ludwigsplatz auf. Dem großen Nationaldichter Goethe wolle er nicht ans Zeug flicken. Oswald, der an verschiedenen Universitäten deutsche Sprache und Literatur gelehrt hat, stellte auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Rosenheim seine Biografie mit dem Titel „Im Schatten des Vaters – August von Goethe“ vor, die 2023 im renommierten Beck Verlag erschienen ist.
August von Goethe starb bereits 1830 im Alter von 40 Jahren in Rom, das die letzte Etappe seiner Italienreise war. Die Umstände seines plötzlichen Todes scheinen heute geklärt. Da August der Sohn eines weltberühmten Dichters war, wurde er obduziert. August starb nicht an einer Leberzirrhose, wie man aufgrund seines hohen Alkoholkonsums hätte vermuten können, sondern an Hirnhautentzündung.
44 Jahre nach Goethes Einzug in Rom fand am 29. Oktober 1830 die Beisetzung Augusts auf dem protestantischen Friedhof statt. Auf seinem Grabstein steht lediglich die Inschrift „Goethe filius“, Goethes Sohn. Kanzler Müller musste Goethe die traurige Todesnachricht überbringen. Goethe, der panische Angst vor dem Tod hatte, habe sich laut Oswald nichts anmerken lassen. Lapidar schreibt er vom „Ausbleiben“ und „Ableben“ seines Sohnes und verbittet sich Beileidsbekundungen.
„Goethe hat die Italienreise für August vorbereitet“, erklärte Oswald. Im Haus am Frauenplan, wo August, seine Frau Ottilie und seine zwei Kinder wohnen, hängt schon länger der Haussegen schief. Der Dichter will nicht mehr mit der Familie gemeinsam Mittagessen. Goethe erhofft sich eine Heilungsreise für seinen Sohn, verlangt von ihm, dass er jeden Morgen Tagebuch führt.
August berichtet jedoch nicht von seinen Eindrücken, sondern zählt nur gewissenhaft alle Sehenswürdigkeiten auf, die er besichtigt hat. Ihn interessieren tatsächlich andere Dinge, etwa die Marmorsteinbrüche von Carrara. August reist bewusst nicht auf der gleichen Route wie sein Vater. Mit einer „tobenden, schnaufenden Dampfmaschine“ fährt er nach Sizilien, laut Oswald die erste Beschreibung eines Dampfschiffs in der deutschen Literatur.
Nach einem Jurastudium in Heidelberg, das der Vater für ihn bestimmt, führt August seine Studien in Jena fort, wird von den Studenten gemieden, weil er auf Geheiß seines Vaters beim gefürchteten Stadtkommandanten zur Mittagstafel geladen ist. August schließt das Studium nicht ab, steigt aber rasch in der herzoglichen Verwaltung auf, wird mit 34 Jahren Geheimer Kammerrat und gehört dem Hofe an. Seine Uniform muss er selber zahlen, alle 14 Tage hat er Rufbereitschaft.
„August war ein sehr guter Verwaltungsbeamter“, so Oswald. Goethe machte ihn aber mehr und mehr zum Faktotum in allen möglichen Bereichen. So stand er stets im Schatten seines Vaters. Dass August, der laut Oswald ein exzellenter Beobachter war, sich nicht selbstständig entfalten konnte, sei die Tragik seines Lebens gewesen.Georg Füchtner