Wasserburg – Einmal Wasserburg ist keinmal Wasserburg. In die schöne Stadt in der Innschleife zieht es auch nahe Wohnende immer wieder mal, besonders bei Sonnenschein. Den kriegt reichlich, wer sich auf den Marienplatz setzt, um seinen Stadtrundgang mit mindestens einem Cappuccino zu beschließen. Der Blick richtet sich unweigerlich auf ein architektonisches Juwel der Stadt, das 300 Jahre alte, dreiteilige Patrizierhaus der Kerns gegenüber dem Rathaus. Grandioser spätbarocker Stuck von Johann Baptist Zimmermann.
Der jüngste Wasserburg-Besuch an einem strahlenden Sonnentag. Er musste mit drei Cappuccini enden. Die Erklärung hierfür steht im letzten Abschnitt dieses Beitrags.
Überraschungen
in der Stadtkirche
In der Stadtkirche zu Unserer Lieben Frau gab es zwei Überraschungen. Die erste: die Doppelwallfahrt zur Thronenden Gottesmutter, salzburgisch, 600 Jahre alt und zu „Christus im Kerker“. Überraschung 2: eine pechschwarz gerahmte schöne junge heilige Maria, die, den Mund geschlossen, scheu zu Boden blickt, den Kopf leicht nach links geneigt. Öl auf Leinwand. Darunter ein langer Text mit der Jahreszahl 1660. Der Besucher der Frauenkirche kennt die berühmte Landshuter „Maria mit dem geneigten Haupt“. Aber so hat er sie nie gesehen: Schwerer filigraner Brustschmuck, doppelreihiges, edelsteinbesetztes Geschmeide, das mit dem Heiligenschein eine Einheit bildet. Um den Hals trägt Maria, den Kopf mit einem Schleier bedeckt, eine eng anliegende Kette mit goldenem Kreuz.
Darstellungen der berühmtesten Landshuterin, der gnadenreichen „Maria mit dem geneigten Haupt“ in der Klosterkirche der Ursulinen zu Landshut, wurden, das ist bekannt, tausendfach in Kupfer gestochen, als Gebetbuch-Einlagebilder oder auch als sogenannte Schluckbildchen zum Essen. Wallfahrer rührten Bögen oder Bildchen am Gnadenbild an, um dessen Wirkkraft zu verstärken.
Von keiner anderen Pilger-Ikone Bayerns wurden im 18. Jahrhundert so viele Nachbildungen in Form kleiner Andachtsbilder verbreitet wie von dem weithin verehrten Bild im Ursulinen-Kloster zu Landshut. So steht es bei Hans Bleibrunner (1927 bis 1994), einst Niederbayerns Bezirksheimatpfleger und Autor vieler Texte zur „Maria mit dem geneigten Haupt“. Von den vier Kupferstechern, weiß Bleibrunner, war der in Augsburg tätige Johann Melchior Gutwein der Star. Aber nirgendwo steht bei Bleibrunner, warum die Maria ihr Haupt neigt. Darstellungen der Gottesmutter allein, ohne ihr Kind, gibt es hundertfach. Weltweit. Alle schauen, wenn sie nicht liegen, sondern stehen oder sitzen, geradeaus. Sehen direkt den Betrachter an. Ob liebevoll oder mahnend. Ob lächelnd oder besorgt. So weiß es der Wasserburg-Pilger. Ihm ist nicht geläufig, dass die Landshuterin einen so auffälligen Brustschmuck trägt. Der Wasserburg-Pilger tat gut daran, sich an das Lesen des Textes zu machen.
Daraus geht hervor, dass um das Jahr 1610 der aus Spanien stammende „Pater Dominicus von Jesu Maria Parfüssige Carmeliter zu Rom“, das Bild „under einem alten Steinhaffen gefunden und gesäubert“ hat, worauf „das Pilt als dan Zur Danckhbarkeit das haubt geneigt, wie es noch Lebhafft zu sehen, und dies wort gesprochen hat, allen denen Zeugen die mich in diser Pildnus Würdig Verehren, will ich absonderliche gnad hilff und Freyheit erlangen …“
Maria hat sich, so der Verfasser des Textes, mit einer leichten Verneigung beim Retter des Original-Bildes bedankt. Diese Erklärung fehlt bei Hans Bleibrunner. Er entnahm einer alten Beschreibung, dass der Pater das Bild erst in seine Obhut genommen hatte, bevor er es, nach zahlreichen persönlichen Gnadenerweisen, in der Kirche Maria della Scala ausstellte. 1631 kam es – o Wunder! – in die Münchner Karmeliterkirche, bald darauf aber in die Wiener Hofburgkapelle, 1655 in die Karmeliterkirche in Wiens Leopoldstadt.
Wie das Bild nun nach Landshut kam? Durch den Chorherrn Johann Jakob Schmidhofer, dem Beichtvater des Ursulinenklosters. Er hat das 1680 aufgefundene Original „von einem Maler … kopieren lassen und erkauft“. 15 Jahre lang verehrte eine „Liebhaberin Mariä“ unter den Schwestern der heiligen Ursula von Landshut dieses ihr geschenkte Bild in ihrem Zimmer, bis es 1695 „in das gemeine Bet-Haus der Kloster-Frauen überbracht worden“ war. Von da ab wirkte das Bild von „Maria mit dem geneigten Haupt“ in der Stadt Landshut und weit, weit darüber hinaus. Es machte Maria zur berühmtesten Landshuterin.
Die gleiche
Erklärung
Von Forschereifer getrieben, schlägt der aus Wasserburg Heimgekehrte bei Gustav Gugitz (1874 bis 1964), dem Wiener Kulturhistoriker, nach – und was findet er? Die Schwarz-Weiß-Abbildung eines barocken Andachtsbildchens, gestochen in Wien von Adam Napert. In der Mondsichel: das kreisrunde Bildnis Mariä. Zwölf Sterne um ihr geneigtes Haupt. Bestürmt von ihr huldigenden Putten und Engeln. Angeschmachtet von dem in Verzückung geratenen „gottsel. P. Dominico, als dieser sie zu Rom gefunden und verehret, das Haubt geneiget hat …“. Das Spruchband mit der Bitte an Maria als Fürsprecherin bei ihrem Sohn – „Erzeige dich eine Mutter zu sein“ – setzte Adam Napert über die mit Lilien geschmückte, in die Wolken des Heiligen-Himmels gehobene Szenerie.
Naperts Bildunterschrift gibt eindeutig dieselbe Erklärung für Marias geneigten Kopf wie das Wasserburger Ölbild: Maria bedankte sich, so die Legende, beim Finder und Retter ihres Bildes, indem sie ihm ihr Haupt zuneigte.
Vermutlich hat Napert – wie sollte er sonst zur gleichen Erklärung des geneigten Hauptes gekommen sein? – das in Wasserburg befindliche Ölgemälde gekannt. Könnte gut sein, dass das Bild in der Wasserburger Liebfrauenkirche aus Wien stammt. Egal – das Rätsel, warum die Landshuter Muttergottes ihr Haupt neigt, war für den Wasserburg-Besucher gelöst. Kein Wunder, dass die ganze Geschichte nun so ausgeht: Er brauchte nun unbedingt einen dritten Cappuccino.