Erbitterte Wortgefechte im Boxring

von Redaktion

Rosenheimer Tam-Ost spielt „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza

Rosenheim – Die zwei (von der Regie eingedeutschten) Ehepaare Burkhard und Schumann sitzen sich gegenüber, das Gespräch stockt mit Verlegenheitspausen, kommt erst langsam in Fahrt, wird dann aber immer rasanter bis hin zu Wutausbrüchen. Zuerst heißt es: „Keiner hat was davon, sich von Gefühlsmechanismen leiten zu lassen.“ Doch dann brechen die Gefühle durch und heraus und buchstäblich spritzen die Körpersäfte heraus in der mittlerweile berühmten Kotz-Szene.

Allseitiger Kontrollverlust

Zwei Ehepaare kommen zusammen, um eine Stellungnahme für die Versicherung zu verfassen, weil ihre Kinder sich geprügelt haben und es zu einer Verletzung gekommen ist. Im Laufe des Gespräches blättert der soziale Firnis immer mehr ab, es kommt zu Vorwürfen, Beleidigungen, ehelichen Bloßstellungen, zum erbitterten Streit, zum seelischen Gemetzel. „Ich glaube an den Gott des Gemetzels“, verkündet der smarte Alex, damit den Dramen-Titel formulierend.

Sorgfältig hat Tobi Huber diese Gesellschafts-Komödie im Tam-Ost inszeniert. Mit Musik von Paolo Conte („It’s wonderful“), diesem Troubadour des Mittelstandes, beginnt und endet es, verhaltener Straßenlärm dringt von außen herein, gnadenlos scharf ausgeleuchtet sind die vier Protagonisten. Die sitzen in der Mitte wie in einem Boxring (Bühne: Stephan Bertagnolli), ringsherum die Zuschauer. Durchsichtig sind die Stühle und der niedrige Couchtisch, durchsichtig wie die bloßgelegten Gefühle. Am Ende ist alles ein Schlachtfeld aus Kotzwasser und zerfetzten Tulpen: ein Gemetzel der Gefühle.

Der Boxring hat mehrere dramaturgische Auswirkungen: Die Zuschauer schauen den anderen Zuschauern beim Zuschauen zu – und werden so zu Mitwirkenden. Dass aus dem gutbürgerlichen Salon ein enges Geviert wird, beengt die Bewegungsfreiheit der Spieler: Sie rücken sich auf die Pelle. Dafür wechseln sie dauernd die Stühle – eine Choreografie der Gesprächsführung. Die ist auch wirklich sehr gut choreografiert. Die Anfangsverlegenheitspausen korrelieren mit den Erschöpfungspausen am Ende – auch wenn sie ein bisschen vom dramatischen Tempo wegnehmen. Ironisch kontrastierend ist der Klingelton von Alex‘ ständig klingelndem Handy: „Probier’s mal mit Gemütlichkeit!“ – was die Gemütlichkeit nun wirklich vernichtet.

Sorgfältige Charakterzeichnung

Sorgfältig sind die Charaktere gestaltet und von den Schauspielern umgesetzt. Und sehr sorgfältig sind die Worte gesetzt, gestanzt, ins Gefecht gebracht. Scharf geschliffen sind die Sottisen, die Bemerkungen und Angriffe werden im Munde der Schauspieler zu Dolchstichen. Der smarte Alex (Oliver Schmid) im eleganten Anzug und mit gut geschnittener Frisur mit seinem Männerbild von John Wayne und seinem Neandertaler-haften Frauenbild („An Frauen schätzt man Hormone!“) gibt seine ironisch-dezidierten Äußerungen mit den Händen in den Hosentaschen immer etwas von oben herab.

Seine Frau Yvonne (Julia Plank) im schwarzen Leder-Minirock und in High Heels ist anfangs etwas blasiert, wird dann immer genervter vom ewig klingelnden Handy ihres Mannes, wird immer gereizter und trinkt immer mehr Rum, kotzt und kotzt und kehrt damit ihr Innerstes nach außen, bis nur noch Galle kommt. Schön gespielt ist ihre immer stärker werdende Betrunkenheit.

Thomas, den Hausherrn, gibt der schlaksige Oliver Männer im Troyer als wortreiches Weich-Ei, der sich nicht gegen seine daueranrufende Mutter durchsetzen kann und am Ende sogar von seiner eigenen Frau verprügelt wird: das Gegenbild zum Macho-Alex.

Mirjam Bertagnolli als dessen Gattin Veronika ist sprachlich sehr scharf akzentuiert und immer etwas übersteuert, als politische Schriftstellerin rigoros humorlos („Ich habe keinen Humor und will auch keinen haben.“). Sie lenkt das immer mehr entgleitende Gespräch immer wieder aufs eigentliche Thema, will immer die Kontrolle behalten – und wird dann doch das Opfer des allseitigen Kontrollverlusts.

Regisseur Tobi Huber und seinen Schauspielern ist ein unerbittliches gesellschaftliches Schauspiel gelungen, das aufgrund seiner sprachlichen Schärfe immer Komödie bleibt: die Komödie, die Gesellschaft heißt. Die Zuschauer der ausverkauften Premiere sahen dies auch so und spendeten langen und herzlichen Applaus.

Bis 4. Mai

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