Ein See, ein Name und mehrere Namenserklärungen

von Redaktion

„Schiemsee? Dschiemsee? Chiemsee? Kann schon sein, dass meine Großeltern so gesprochen haben“, lächelt der kürzlich nach Oberbayern zugereiste Jakob aus Düsseldorf. „Aber wissen Sie, warum wir jungen Leute ganz korrekt Kiemsee zum Chiemsee sagen?“ Da geht gleich Jakobs Freundin Charlotte dazwischen: „Na klar! Das bewirkt die gleichnamige Modefirma.“ Jakob ergänzt: „Und das Bier!“ Damit wäre das Thema „Aussprache“ geklärt.

Aber nur für die Zuagroasdn! Die Hiesigen und Dosigen wissen da noch mehr. Raimund Feichtner aus Rimsting („Rimschding“) spricht den Namen des sogenannten „Bayerischen Meeres“ mit betont kurzem [i], nämlich als „Kimmsä“. Er hat aber Konkurrenz von Karl Wimberger, dessen Lebensgefährtin aus Chieming stammt. Dort heißt der See nämlich „Keamsä“ und das Pfarrdorf Chieming „Keaming“. Vor Nasal – n, m, ng – wird das geschriebene bairische <ie> gerne in der Aussprache zum [ea]. Andere Beispiele sind Kienberg und Prien als [Keaberg] und [Brean]. Der Name des Flusses Prien laute, so heißt es, [Brea~] – mit Nasalierung, aber ohne n.

Eine allseits anerkannte sprachliche Erklärung für Chieming, für den Chiemsee und für den Chiemgau liefert das 2006 erschienene Lexikon bayerischer Ortsnamen von Wolf-Armin von Reitzenstein. Aufgrund der dort ausführlich angegebenen Quellenlage, die mit dem im Salzburger Urkundenbuch, Band 1, vermerkten Eintrag „Chiminsaeo“ aus dem Jahre 790 beginnt, und die weiteren Schreibungen „iuxta lacum Chieminge“ – „neben/beim See Chieminge“ –, „in insulam Chemingi lacus“ (870) – „auf die Insel des Sees Chemingi“ –, „Chiemincseo“ – „Chiemingsee“ – und weitere Schreibungen mehr aufweist, kann der Zusammenhang zwischen Ort und See erschlossen werden: Der See ist nach dem Ort benannt! Chieming selbst ist erstmals 804 in einer Kopie des 12. Jahrhunderts in den Freisinger Traditionen (Übergabebüchern) als „Chiemingen“ aufgeführt.

Zur Erklärung des Namens Chieming heißt es im „Reitzenstein“ wie folgt: „Es liegt wohl der Personenname Chiemo zugrunde, der durch das Zugehörigkeitssuffix -ing abgeleitet ist; dieser wiederum ist auf den keltischen Personenbeinamen Chemus zurückzuführen (…).“ Also: Ort bei Chiemo und seinen Leuten.

Aber wer war denn der Chiemo? War er ein Kelte, oder trug er als zugewanderter Baier nur einen keltischen Namen? Nähere Informationen finden sich im 2019 erschienenen Buch „Baiern und Romanen“ der beiden Ortsnamenforscher Peter Wiesinger und Albrecht Greule. Professor Greule geht von einem lateinischen Namen eines Gutshofes aus: „Cemianum“, romanisch „Cemianu“. Diesem Hofnamen liegt „vielleicht“, so Greule, der (erschlossene) römische Personenname Coemus, volkssprachlich-lateinisch Cemus, zugrunde, während die Nachsilbe „-ianu“ durch das „geläufige bairisch-althochdeutsche Ortsnamensuffix -ing ersetzt wurde“.

Beide Erklärungen sind ebenso plausibel wie anspruchsvoll. Vielleicht war der Ortsvorsteher „Cemus“ oder „Ciemo“ ja sogar eine kelto-romanisch-bairische Person? Aber der Erklärung von „Chiem“ als „Moor“, wie es in einem 2023 erschienenen Namenbuch heißt, verschaffen wir hier zwar Gehör, zollen aber nur wenig Beifall.armin höfer

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