Achternbusch und die Emanzipation

von Redaktion

Premiere von „Susn“ in der Rosenheimer Theaterinsel

Rosenheim – Herbert Achternbusch war wohl so eine Art bayerischer Dario Fo: Beide pflegten gerne einen grimmigen Humor, sparten nicht an provozierender Drastik und traten mit Lust in die vielen bereitstehenden Fettnäpfchen. In seinem zweiten Theatertext legt Achternbusch allerdings größte Empathie für seine Protagonistin an den Tag, deren Namen Susanna er zu einem glanzlos genuschelten Neutrum verkürzt: „Susn“.

Doch dies ist aus dem Blickwinkel von Susns Umwelt gesehen, dieser „patriarchalischen niederbayerischen Provinzgesellschaft“. Und wie rückständig das Leben im Bayerischen Wald sich zeigte, wissen wir spätestens seit dem berühmten Passauer „Osterwitz“…

Bayerische
Avantgarde

Regisseurin Gabriela Schmidt ist dem Klassiker bayerischer Avantgarde mit bohrendem Ernst, doch auch mit lockerer Hand und feinem Gespür für Nuancen auf den Leib gerückt. Die Gestalt der Susn verteilte sie auf drei Schauspielerinnen („jede Frau könnte Susn sein!“) und gewann so Freiräume für bühnenwirksames und temporeiches Agieren. Die Zuschauer saßen im Kreis um die Spielfläche und die drei Susns waren nonstop den „voyeuristischen“ Blicken des Publikums ausgeliefert: „Ich fühle mich von dir umlauert.“

Susn mal drei bedeutete für Miriam Brodschelm, Sarah Fischbacher und Sophia Pölcher keine Arbeitserleichterung; im Gegenteil, nun musste der aufgesplittete Text wie aus einer Partitur punktgenau, reaktionsschnell, in passendem Tempo und sinnvoller Lautstärke quasi musiziert werden. Die „Voyeure“ verfolgten in atemloser Spannung das rasante Spiel. Man vergaß, dass kein Plot Achternbuschs Text zugrunde liegt, dass nur statische Bilder, also Erinnerungen, Geständnisse und Reflexionen Susns das Gewebe zusammenhalten. Die drei Aktricen begeisterten nicht nur durch ihr Spiel, sondern auch die in allen Lebenslagen glasklare Diktion (O-Ton einer Zuschauerin: „Ich habe alles verstanden, auch das Bairisch!“).

Um was geht’s? Machen wir einen Schnelldurchgang: Das junge Mädchen Susn wächst auf in einer muffigen Welt voller erotischer Irrungen und Wirrungen, Verleumdung und salbungsvoller Süßlichkeit. In einer Beichte enthüllt Susn dem Pfarrer, der selbst nicht frei von Schablonendenken und Klischees ist, ihre Erlebnisse, aber sie bleibt beim Entschluss, aus der Kirche auszutreten: „Ich wollte nicht länger in der Gemeinschaft derer bleiben, von denen ich weiß, dass ihr Glaube nur eine Kopfhaltung ist.“ Malerisch über die Spielfläche sind Toilettenschüsseln postiert: Sitzgelegenheit und ein Sinnbild für die Möglichkeit auch seelische Verletzungen wegzuspülen?

Auch das Studium in der großen Stadt bringt Susns Emanzipation nicht weiter. So wie ihren Problemen möchte Susn nun per Fahrrad einem aufziehenden Gewitter entfliehen. Die drei Susns strampeln mit Bravour auf ihren Drahteseln und parlieren währenddessen unverdrossen. Eine Szene von großem optischem Reiz.

Die Heirat mit einem „Schreiber“ geht schnell in die Hosen. Der Ehemann macht aus den Leiden Susns ausschließlich Literatur. Im Kreis sind auf dem Boden Schreibmaschinen gelagert, deren stupides Klacken die Trostlosigkeit der Situation unterstreicht. Entschlossen sagt Susn zu ihrer Lage und ihrem ehelichen Diktator endgültig „Nein!“

Altersweisheit oder
Resignation?

Altgeworden, kehrt Susn wieder in die Kirche zurück – Altersweisheit oder Resignation? „Hier hat sie Ruhe… Der Herrgott hört ihr zu – ob er will oder nicht!“ Und mit einem geradezu tröstlich-verklärenden Dreigesang verlassen die drei Susn die Arena, auch wenn im Text immer wieder das Reimwort „Weltverdruss“ zu hören ist. Diesen Verdruss bieten uns aber weder das Enfant terrible Achternbusch noch die Theaterinsel! Eine Aufführung wurde heftig beklatscht, die künstlerisch überzeugt, ja mitreißt, durchaus provoziert, ohne mit plakativen Schlagwörtern zu kokettieren.

Aufführungen

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