Erl – Bekanntlich waren – nach Robert Gernhardt – Kritiker der Elche früher selber welche. Auch Friedrich Nietzsche wandelte sich vom glühenden Verehrer von Richard Wagner zu dessen ätzendstem Kritiker. Und so schreibt er in seinem Buch „Der Fall Wagner“, was er – als „Halkyonier“, also als Mensch, der Schönheit und Gelassenheit liebt – an Wagners Musik vermisst: „die leichten Füße; Witz, Feuer, Anmut; …den Tanz der Sterne; die übermütige Geistigkeit; die Lichtschauer des Südens, das glatte Meer – Vollkommenheit.“
Ein Titel mit
Anspielungen
All dies wollte der Choreograf Enrique Gasa Valga zusammen mit der Librettistin Jennifer Selby und mit seiner Tanzkompanie „La Limonada“ der Musik von Richard Wagner verleihen, folglich nannten sie ihr Tanzstück im Festspielhaus Erl „Der Fall Wagner“. Damit es nicht zu halkyonisch wird, umrahmte Winifred Wagner, Richards monströse Schwiegertochter, von der Leinwand her das Tanzstück: Hans-Jürgen Syberberg hatte sie 1975 in einem Film verewigt, in dem sie ungeniert ihre immer noch andauernde Verehrung von Adolf Hitler mit dröhnend-lachender Stimme verkündete und so sowohl Wagners Antisemitismus als auch Hitlers Vereinnahmung von Wagners Musik veredelte.
Konsequent wird Wagner hier von einem dunklen Schatten verfolgt (Mitsuru Ito), der in einer Szene durch die Walküren unterstützt wird, die in schwarzen Dessous zum Walkürenritt tanzen: Witz und Feuer.
Wogende Wellen rauschen oft auf der Riesenleinwand zur Musik des „Fliegenden Holländer“, über der Bühne hängen gestaffelte Stoffbahnen, die sich bei der Musik zu „Parsifal“ auf die Bühne senken und in die die Tänzer und Tänzerinnen versinken und aus der sie wieder auftauchen. Sonst thront nur ein alter Bösendorfer-Flügel auf der leeren Bühne (Bühne: Helfried Lauckner), unter dem der kleine Richard aufwächst und auf dem der große Richard sich mit Mathilde Wesendonck sich erotisch windet.
Richard Wagner suchte – wie sein „Fliegender Holländer“ – immer die Erlösung durch „die“ Frau: Alle Frauen umtanzten und umgarnten ihn und hatten das gleiche Kleid an, nur Richards Mutter war weiß gekleidet (Pilar Fernández Sánchez), die übrigen changierten in Pink: Minna Planer (Camilla Danesi), Mathilde Wesendonck (Alice Amoroth) und Cosima (Sayumi Nishii) – und die Verführerin Kundry natürlich in Schwarz (Sandra Chamocumbi Castro).
Der Liebesverwirrtanz zur „Tristan“-Musik zwischen Minna und Mathilde, daneben Mathildes Gatte Otto, war durch die Kleidergleichheit auch der Männer zusätzlich verwirrend (Kostüme: Birgit Edelbauer-Heiss).
Als Richard Wagner war der Tänzer Martin Segeta viel zu groß, viel zu athletisch und viel zu schön – aber er tanzte wahrlich mit Feuer und Anmut auf leichten Füßen, wie auch alle anderen: Wagners unendliche Melodie strömte „mit übermütiger Geistigkeit“ durch die Körper von allen und versetzte diese in immer fließenden Bewegungen, zwischendurch tanzten die Verfolger-Scheinwerfer wirbelnd mit (Licht: Freddy Rock).
Besonders gelungen war die Szene mit dem jungen und schönen Bayern-König Ludwig II., von Cosme Tablada Moreno ebenfalls elegant und anmutig und mit einer irisierender Mischung aus erotischem Hingezogensein und königlicher Distanz verkörpert. Die Hofgesellschaft tanzte zum „Tanz der Lehrbuben“ aus „Die Meistersinger von Nürnberg“, ein tänzerisch stummer sozialer Aufschrei ertönte, als bekannt wurde, dass Richard mit Cosima ein ehebrecherisches Verhältnis angefangen hatte.
Mit „Parsifal“ wurde es tragischer: Ludwig II. wurde zum tumben Tor Parsifal und Richard zum Gralskönig Amfortas, dem ein Riesenspeer in den Leib gestoßen wurde. An diesem Speer wand sich Richard später halbnackt und todkrank auf und ab. Mit einem riesigen grauen Leichentuch wurden der Tod und das Begräbnis zu Siegfrieds Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ titanisch inszeniert, ja gefeiert: Am Ende wird Richard Wagner zu seinen Figuren, war vorher schon der rastlos um Liebe bettelnde Holländer, der inbrünstig Liebe suchende Tristan, wurde dann zum leidenden Amfortas und schließlich zum im Tode gefeierten Nationalhelden Siegfried.
Wer mit dem Leben von Richard Wagner nicht so vertraut war, konnte sich im ausführlichen Programmheft vorher darüber informieren – während der Vorführung war’s meist zu dunkel dafür. Vereinzelt erschienen Schriften auf der Leinwand oder kam eine informierende Stimme aus dem Off. Natürlich konnten manche Themen wie Wagners ekliger Antisemitismus nur angetippt werden, natürlich war die Szenenfolge etwas aufrisshaft kurz – die eindreiviertel Stunden hätten schon noch ausgedehnt werden können, die Kürze des ersten Teils überraschte alle.
Überzeugendes
Konzept
Aber insgesamt überzeugte das tänzerische Konzept und das Vorhaben, der schweren Musik Wagners Leichtigkeit zu verleihen, sie in halkyonische Gefilde zu versetzen. Es könnte der Beginn eines neuen Projektes der Tiroler Festspiele Erl werden – aber dann vielleicht mit akustisch besserer Musik aus den Lautsprechern, vielleicht sogar mit leibhaftig aufspielender Orchestermusik. Der sofort frenetisch aufbrandende und mit viel Gejohle und Gepfeife garnierte lang anhaltende Schlussbeifall bekräftigte dies.