Erl – Wahrlich bewegend ist es, wenn in der Zugabe „Kendlingers K & K Opernchor“ aus dem ukrainischen Lemberg im Festspielhaus Erl Verdis Gefangenenchor und „Patria opressa“, also „unterdrücktes Vaterland“, aus „Macbeth“ singt: Da treffen Kunst und Realität aufeinander, da werden aus behaupteten wahre Gefühle, da werden aus Juden oder Schotten Ukrainer. Kunst, auch Musik, ist nie unpolitisch: Bei Kendlingers ukrainischen „K & K Philharmonikern“ ist der weibliche Anteil unter den Mitwirkenden gewachsen, weil viele männliche Musiker Ausreiseverbot haben oder an die Front müssen.
Chor fordert
Menschenrechte ein
Matthias Georg Kendlinger, der Musikveranstalter, Dirigent und Komponist aus Schwendt bei Kössen, hat in seinen Symphonien immer schon politische Themen aufgegriffen, die plötzlich hochrelevant sind: „Menschenrechte“ heißt seine dritte Symphonie, „Manipulation“ seine erste. Und so singen, flehen, ja fordern die ukrainischen Chorsänger im Symphonie-Finale fanalartig entflammt die Menschenrechte herbei und betonen: „Alle Kraft dem Positiven“.
Die Werke von Kendlinger haben – unter Aufbietung aller orchestralen Möglichkeiten – emotionale Kraft, ja marschmäßige Gewalt wie dramatische Filmmusik, sie zeigen aber auch gefühlvolle Facetten: In den zwei Sätzen aus Kendlingers Klavierkonzert mit dem Titel „Larissa“ spielte Philipp Scheucher mit Verve und Bravour die rhythmisch dominierten Passagen, zart und weich die zärtlichen, liebevoll auch die stampfenden und glitzernd die virtuosen Passagen. Fast ukrainisch innig-melancholisch wirkt der zweite Satz des Violinkonzerts mit dem Titel „Galaxy“, das der Konzertmeister Ihor Muravyov genauso flehentlich-innig spielte, bevor es ins furiose Finale ging.
Nach der Pause gab’s Musik von Giuseppe Verdi, gemäß dem Konzertmotto „Kendlinger meets Verdi“. Jetzt dirigierte Kendlingers Sohn Max, und dies sehr präzise und suggestiv. Der Chor präsentierte sich durchschlagskräftiger, transparenter und wendiger als so mancher Opernchor, vor allem sang er hochemotional: Er besang ja auch sein eigenes politisches Schicksal.
Unter Max Kendlinger reagierte das Orchester rhythmisch und melodisch punktgenau und brachte so viel Drive in die Ouvertüren zu „Nabucco“ und „Giovanna d’Arco“.
Die letztere brachte eine Überraschung: Kurz nach dem dramatischen Beginn der Ouvertüre kam der Street-Dancer Yann Antonio hereingetänzelt und tanzte zu der Musik, insbesondere zum graziösen Holzbläser-betonten Mittelteil. Er drehte, wendete und wand sich blitzschnell und schlangengleich im Gleichklang zur Musik, so dass man meinen könnte, dieser Mann habe keine Knochen: Hier wurde die Musik körperlich, wurde selber zur Bewegung.
Jubelndes
Publikum
Die Wohlfühlatmosphäre im restlos ausverkauften Festspielhaus wurde immer wohliger – Matthias Kendlinger hatte vorher schon betont, wie sehr er sich freue, in der Heimat zu sein und Tirolerisch sprechen zu können. Mit dem „Libiamo“ aus „La Traviata“ als letzte Zugabe wurde die Stimmung richtig ausgelassen, auch die Chorsänger und -sängerinnen vergaßen für einen Moment ihre historische Not und das Publikum jubelte und klatschte ausgiebig: Musik besiegt für einen Moment die Politik.