„Man kann heiter zugrunde gehen“

von Redaktion

Helme-Heine-Ausstellung „Requiem für die Neuzeit“ in der Galerie im Alten Rathaus in Prien

Helme Heine gilt als einer der weltweit renommiertesten Buchkünstler der Gegenwart. Hier vor seinem Bild „Kroko-DEAL“.Fotos kirchner

Prien – Helme Heine (geb. 1941) zählt zu den großen Bilderbuchkünstlern der Gegenwart. Die Freunde Johnny Mauser, Franz von Hahn und der dicke Waldemar erreichten Weltruhm und sind längst bekannte Klassiker. Auch bei der Entwicklung der Figur des kleinen grünen Drachen Tabaluga war Helme Heine beteiligt. Doch dass er weitaus mehr zu sagen hat, zeigt die Ausstellung „Requiem für die Neuzeit“ in der Galerie im Alten Rathaus.

Nicht alle Bilder
sind kindgerecht

Noch vor der offiziellen Eröffnung am heutigen Samstag haben die OVB-Heimatzeitungen einen Exklusiv-Rundgang mit dem Künstler und der Kuratorin Inge Fricke unternehmen dürfen. Im Erdgeschoss grüßt eine Mickey Maus in einer Mausefalle mit dem Titel „Maus überlebt Mickey.“ Nicht alle Bilder, die in der Ausstellung gezeigt werden, sind kindgerecht, gibt Inge Fricke zu. Aber ein Kinderbuch soll ja nicht nur Kinder ansprechen, sondern auch ältere Geschwister und Erwachsene, ergänzt Heine. Für ihn ist eine Geschichte ein Treppenhaus, das jedes Alter bewerkstelligen kann. Sei es krabbelnd, laufend oder mehrere Stufen auf einmal nehmend.

Tiere als
Symbole verwendet

Zurück zum Buch über die Freundschaft: Wie stellt man Freundschaft dar? Heine sagt, dafür brauche es mindestens zwei, wenn nicht gar drei, aber dann ist es schon eine Gruppe. Worte reichen also nicht aus. Deshalb verwende er Symbole, in diesem Fall Tiere. Auch Körpersprache spielt bei ihm eine Rolle: Wie stelle ich ein Nein dar? Aufgerichtet, mit verschränkten Armen, oder mit gesenktem Blick?

Für ihn hat das viel mit Tiefenpsychologie zu tun. Der Rundgang mit dem Künstler gestaltet sich erfrischend unterhaltsam: Vom Hundertsten kommt man ins Tausendste.

Heine, der nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Kunst in den 60er-Jahren nach Südafrika auswanderte, über 50 Kinder- und Jugendbücher schrieb, Theater- und Musicalarbeit für die Weltausstellung in Osaka machte, einen Themenpark für den Zoo in Hannover gestaltete und zahlreiche Ausstellungen in Europa, USA und Asien hatte, lebt nunmehr die meiste Zeit des Jahres mit seiner Frau Gisela von Radowitz in Neuseeland, wo er malt, zeichnet und Skulpturen schafft.

Aber er besucht auch gern die Heimat und verbringt seine Ferien im Chiemgau.

Wie kommt man auf den Titel „Requiem für die Neuzeit“? Viele Themen treiben ihn, den Weltenbürger, um. Themen, denen er – ob als Aquarell mit Dachshaar-Pinsel, mit Fineliner oder dickeren Linern – spitzbübisch und kritisch seinen Stempel aufsetzt und den Betrachter zum Nachdenken, Stirnrunzeln, Schmunzeln oder gar zum Traurig-Sein animiert. Da hängt eine Friedenstaube an einer Angel, die ein Soldat in einem Panzer in seinen Händen hält, da liest ein Mann im Liegestuhl auf einem sich im Abbruch befindlichen Grasstück, da steht ein Schneemann im Grünen mit einem Messer im Rücken, die Hirschkuh trägt statt eines Geweihs einen absterbenden Baum („Waldzustandsbericht“), ein Mann zeigt seinen blanken Hintern einem Flachbildschirm, aus dem begeistert Follower zugucken (der Titel lautet „Facebook“), „Empfängnisverhütung“ zeigt ein kopulierendes Paar, das nicht aufeinander achtet, sondern nur jeweils aufs eigene Handy starrt, und „Das Sparschwein, eine bedrohte Spezies“, im weit aufgerissenen Maul eines Krokodils gefangen, wird von einem Herrn im Anzug bewundert. Das Bild „Viagra“ heißt nicht umsonst so: Ein Nashorn mit schlaffem Horn – was für eine Doppeldeutigkeit, wird doch dem gemahlenen Horn in Asien potenzfördernde Wirkung zugeschrieben. Wahrlich nicht kindgerecht.

So manche Zeichnung ist angesichts der weltpolitischen Lage noch immer aktuell. Das Bild, das zwei kämpfende Tiere zeigt, eins mit einem Halbmond als Kopf, das andere mit Judenstern, ist vor drei Jahren entstanden. Bei „Herrlich ist der Orient übers Mittelmeer gedrungen“ (aus „Der öst-westliche Diwan“ von Johann Wolfgang von Goethe) befindet sich auf einem fliegenden Teppich ein arabisches Paar – sie verschleiert und mit Wasserpfeife, er mit Kalaschnikow.

Auch die Kirche bekommt ihr Fett ab: Beim „Letzten Abendmahl“ sind alle Jünger mit einem Handy „bewaffnet“. Das bischofslilafarbene Passepartout um so manche klerikalen Bilder setzt das i-Tüpfelchen: Etwa, wenn ein Pfarrer seinen Vogel, den Teufel, im Käfig sitzend, krault oder wenn der Schattenwurf eines Priesters, der sich mit seinen Fingern vermeintliche Teufelshörner vorhält, einen Teufel zeichnet. Und da tanzen Pfarrer und Teufel einen Pas de deux mit dem bezeichnenden Titel: „Herr Pfarrer, darf ich’s wagen?“ Gendern und Familie: Heine zeigt unterschiedlichste Paar-Konstellationen, sagt Kind und Hund, wobei Frauen und Männer mit den gegensätzlichen Attributen ausgestattet sind. Da muss man manchmal schon sehr genau hinsehen, um alle Feinheiten und Spitzen auszumachen. Einige wenige Skulpturen beherbergt die Ausstellung: Das Bambi, dessen Läufe (Achtung Wortspiel!) umgedrehte Gewehrläufe sind.

„Humor erwärmt
die Seele“

Die afrikanischen Tiermasken, die beinahe kindlich-naiv anmuten, aber doch deutlich erkennbar mutiert sind. Witz sei, so Heine, dass man ihn einmal erzählt, „Humor hingegen erwärmt die Seele“. Seine Werke enthielten eine kristalline Botschaft. Und dann wird er philosophisch: Was beutetet Zeit? Der Deutsche sage „Morgen“ und meine es auch so.

Wahr ist
nur das Gestern

Der Neuseeländer sage zum Jetzt „gone fishing“; dann freue man sich umso mehr, wenn man ihn nachmittags antreffe. Und bei den Südafrikanern sei das Morgen eine Blackbox, das Jetzt schon Vergangenheit und wahr und wahrhaftig sei nur das Gestern. Requiem für die Neuzeit. Das Bild „Blow Job“ trifft den Nagel auf den Kopf: Ein Mann auf einer Wippe, die auf einer Erdkugel im Wasser treibt, und seine Versuche, die Kerze auf der anderen Seite der Wippe auszublasen. Da kann man sich nur Helme Heine anschließen: „Man kann heiter zugrunde gehen.“

Bis 4. August

Artikel 3 von 7