Musikalisches Extremwetterereignis

von Redaktion

Fünf Jahreszeiten und eine Welturaufführung mit Collegia Musica auf der Fraueninsel

Gstadt/Frauenchiemsee – Dauerregen, Wassermassen von oben und unten – keine Spur frühsommerlicher Inselfrische. Der Chiemsee lag schwer und unbewegt da. Bei der Überfahrt hoffte man allenfalls auf einen funktionsfähigen Regenschirm, der einen halbwegs trocken im Konzert der Collegia Musica im Münster Frauenwörth ankommen lässt. Dort angekommen, das komplette Kontrastprogramm: Der Kraftort hieß seine Besucher zum Musikgenuss in vorzüglicher Akustik seines imposanten Sakralraums willkommen.

Welturaufführung
im Münster

Der Weg hatte sich gelohnt. Das angekündigte Konzert unter dem Titel „The fifth Season“ versprach hochwertigen Musikgenuss. Werke großer Komponisten standen auf dem Programm: Neben Vivaldi, Donizetti, Georges Bizet und Karl Jenkins erwartete die Zuhörer eine Welturaufführung für Alphorn und Streichorchester von Wolfgang Kram (Jahrgang 1966).

Wolfgang Diem, ein über die Region hinaus bekannter Musiker und Leiter der Musikschule Grassau, sollte die Ehre zuteilwerden, unter dem Dirigat von Elke Burkert, Krams Werk zusammen mit dem Orchester Collegia Musica Chiemgau uraufzuführen.

Ob Antonino Vivaldis „Frühling“ aus „Die vier Jahreszeiten“ op. 8 positiven Wettereinfluss ausüben könnte? Orchesterleiterin Burkert las zu den einzelnen Konzertteilen – „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ die von Vivaldi vorangestellten Sonette vor. Poesie, in der Vivaldi seine eigenen, musikalischen Gedanken ausdrückte. In der Musik werden die verbalen Beschreibungen typischer Naturerscheinungen in allen Einzelstimmen zitiert. Die Zuhörer ließen sich intensiv auf die musikalischen Extremwetter-Ereignisse samt Naturattraktionen ein – Vogelgezwitscher, das Gemurmel eines Bächleins, Blitz und Donner, schlummernde Hirten, pfeifender Wind oder surrende Fliegen. Gerade im „Sommer“ wechselten sich presto und adagio, piano und forte ohne Vorwarnung ab – wie im richtigen Leben.

Apropos Leben. Der Violinist Richard Milone ist voll davon. Und das legte er in seine Interpretation. So etwas hat selbst routiniertes Konzertpublikum selten gesehen (und gehört): Milone tanzte Vivaldis Musik, lebte sie in all ihren variationsreichen Themen und Stimmungen. Zugleich „vivaldisierte“ er das ihn umgebende Streichorchester, das mit ihm zu einer Art Klangwolke wurde, die auf die förmlich verzückten Zuhörer niederging – besser geht‘s nicht. Weil der walisische Komponist Karl Jenkins (geboren 1944) in ähnlich bildhafter Tonsprache verarbeitet, was ihn innerlich bewegt, passte das Allegretto aus seinem Concerto grosso Palladio ist in drei Sätzen ganz famos – die „fünfte Jahreszeit“ gab den passenden Konzerttitel ab und dachte Vivaldis Themen weiter. Das Streichorchester agierte unter Burkerts intensivem Dirigat fein ausdifferenziert und mit Verve. Bei all den Superlativen sei Gaetano Donizettis Allegro in C-Dur für Streichorchester und Georges Bizets Andantino für Streicher als Leckerbissen zwischen den „Jahreszeiten“ nicht vergessen. Als weiterer Höhepunkt fieberte das Konzertpublikum der Welturaufführung mit Alphorn und Orchester entgegen – und sicher auch alle ausführenden Musiker. Denn Krams Werk ist alles andere als einfach zu spielen. Der Zusammenklang von Streichern und Alphorn ist ungewohnt, also spannend.

Imponierender Anblick

Der Anblick, imposant: Quer vor dem Orchester positioniert, achtete Diem mit allen Sinnen auf differenzierten Austausch mit den Streichern, nahm punktgenau Burkerts Einsätze, schöpfte die spieltechnischen Möglichkeiten des Holzblasinstruments voll aus. Die Naturtöne des Alphorns spiegelten Bergidyll wider, während die Streicher von anderen Sensationen erzählten – zwei Welten, die eins werden wollten? In vier Sätzen wechselten Tempi und Stimmung. Dem dialogischen Austausch folgten liedhafte Passagen, ein solistischer Teil ließ aufhorchen, dann ein „Ruf“ des Alphorns, der von den Streicherstimmen „beantwortet“ wurde. Besonders tief wirkte der Finalsatz – in ernster Tonart gehalten, kam er ergreifend daher. Die Konzertbesucher erhoben sich tief bewegt nach der Zugabe, Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur, aus den Kirchenbänken und spendeten jubelnden Applaus.