Ein Freigeist auf kreativem Umweg

von Redaktion

Immling Festival Opernregisseurin Verena von Kerssenbrock im Interview

Halfing/Immling – Dem Tagpfauenauge, das sich an der Blumeninsel vor dem Festspielhaus am Blütensaft gütlich tut, mag es einerlei sein, dass die Tage bis zum Start in die 28. Spielzeit des Immling Festival gezählt sind. Reges Treiben herrscht schon jetzt auf Gut Immling. In das Wiehern der Pferde des zugehörigen Gnadenhofs mischen sich Gesangspartien von Solisten und Chor und auch die Orchestermusiker proben im Festspielhaus: Sterbe und werde. Theatermenschen und Musiker wissen, was es heißt, wenn die Endprobenphase anbricht. Am Samstag, 22. Juni, geht es los. Heuer stehen mit „Aida“, „Die Dreigroschenoper“ und „Romeo und Julia“ drei Opern auf dem Programm. Das Musical „Fame“ hat man für die jungen Talente der Akademie ausgewählt.

Opernregisseurin Verena von Kerssenbrock strahlt. Vorfreude, eindeutig. Heuer führt sie, neben Brechts „Die Dreigroschenoper“, auch Regie bei „Fame“. Im Gespräch mit der Heimatzeitung erzählt sie von ihrer „Arbeit“, die sie gar nicht als solche empfindet. „Wenn ich probe und inszeniere, besonders mit Jugendlichen, bin ich ganz in meinem Element. Ich genieße es, in vollen Zügen, eigene Bilderfluten zu den vorgegebenen Handlungssträngen hochkommen zu lassen – der Stoff, aus dem ich Musiktheater-Szenen und passende Bühnenbilder kreiere.“

Brecht war gerade 30 Jahre alt, als er 1928 seine kapitalismuskritische „Dreigroschenoper“ schrieb. Wieso zünden die Pointen und Lieder von Brecht und Weill bis heute?

Weil diese gesellschaftskritischen Texte einfach stark sind. Die Lieder sind kraftvolle Ohrwürmer mit bittersüßem Unterton. Die haben Biss, wie der Haifisch. Sie verfolgen einen bis in die tiefsten Träume – mich verfolgen sie sogar bis in die „Fame“-Probe, so stark wirken sie nach.

Ein bekanntes Zitat lautet ja: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Wie sieht es mit dem Zeitbezug aus?

Der drängt sich förmlich auf. Damals wie heute ist sich jeder selbst der Nächste. Menschen gehen über Leichen, um ihre Ziele durchzusetzen. Traurig, aber wahr. Gerade heute stellt sich die Frage, wer oder was wirklich „arm“ oder „reich“ ist und wer sich für wen oder was verkauft.

Brecht erfordert starke Charaktere und auch Weill ist alles andere als einfach. Wie kamen sie mit ihrem Ensemble zurecht?

Fantastisch. Ein(e) Regisseur(in) ist immer so gut wie ihr Team. Ich kann mich glücklich schätzen mit „meinem“ Team. Es sind, laut Brechterben, keine Doppelrollen erlaubt. Das Werk braucht Schauspieler, die singen können, oder andersherum gesagt, Sänger, die schauspielen können. Da waren also 26 Rollen auszufüllen. Natürlich übernimmt ein Teil der Bettler- und Hurenrollen der Chor und Extrachor. Selbst, wenn es manchmal nur ein oder zwei Sätze sind, die müssen passen.

Wer Ihre Inszenierungen vergangener Jahre erlebte, weiß, dass Sie ein Freigeist sind. Wie kamen Sie mit den strikten Vorgaben der Brecht’schen Aufführungsrechte zurecht?

Ja, das war im ersten Moment eine Herausforderung für mich. Ich fühlte mich ein wenig gefesselt. Unfrei. Doch im Verlauf der Ideenentwicklungen fand ich meinen ganz eigenen Weg.

Einen kreativen Befreiungsakt? Welchen?

Richtig. Man wird sehen. Nur so viel sei verraten: Es hat was mit der Welt der Insekten zu tun. Aber keine Angst. Eine Fliegenklatsche braucht man genauso wenig wie Autan. Das Publikum sollte am besten selbst seine Fühler ausstrecken und vorbeischwirren. Es lohnt sich.

Interview: Kirsten Benekam

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