Nervenzerreißender Thriller schafft Spagat zwischen Biografie und Zeitgeschehen

von Redaktion

Theatertage Wasserburg Kulturbühne Spagat aus München zeigt mit „Alan Mensch Maschine“ eine bewegende Lebensgeschichte

Wasserburg – Die Kulturbühne Spagat aus München durfte als letztes Ensemble die Bühne der Theatertage 2024 bespielen. Die Theaterinstallation „Alan Mensch Maschine“ illustrierte spannend die Lebensgeschichte von Alan Turing, der in den 1930er-Jahren die Grundlagen für die moderne Informationstechnologie entwickelte.

Alan Mathison Turing (1912 bis 1954) gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Wegbereiter künstlicher Intelligenz. Während des Zweiten Weltkriegs war er einer der Wissenschaftler, die in Bletchley Park nordwestlich von London den Code der deutschen Chiffriermaschine „Enigma“ knackten. Die Entschlüsselung der Funksprüche verhalf den Alliierten zum Sieg im U-Boot-Krieg und trug zur Niederlage der Achsenmächte Deutschland und Italien im Afrikafeldzug bei. Turings Leben verlief hingegen tragisch. 1952 wurde der brillante Mathematiker wegen seiner Homosexualität, die damals noch strafrechtlich verfolgt wurde, zu einer chemischen Kastration verurteilt. Turing, der ein exzellenter Sportler war, erkrankte in Folge der Hormonbehandlung und der damit verbundenen körperlichen Veränderungen an schweren Depressionen. Zwei Jahre später beging er Selbstmord. Es sollte noch fast 60 Jahre dauern, bis der Kryptoanalytiker posthum an Weihnachten des Jahres 2013 durch Königin Elisabeth II rehabilitiert wurde. Heute werden seine unschätzbaren Verdienste für Großbritannien mit einer Statue in Bletchley Park und seinem Abbild auf einer 50-Pfund-Note geehrt.

Erdacht wurde der nervenzerreißende Theaterthriller von Christian Heiß und Thorsten Krohn, der auch als Alan Turing faszinierte. Lucca Züchner spielte den Kommissar Grey und zugleich Joan Clarke. Letztere war eng mit ihm befreundet und beide gemeinsam lösten das Enigma-Rätsel. Gerald „Greulix“ Schrank und Christian Heiß spielten ebenfalls in mehrfacher Besetzung wichtige Figuren in Turings Leben: witzig-skurrile Wissenschaftskollegen in Bletchley Park oder auch den Richter, der Turin später zur Hormonbehandlung zwang. Die fünfte, virtuelle, nicht personalisierte Hauptfigur war ebenfalls unentbehrlich: Die Installation „Christopher“, auch als „Turing-Bombe“ bezeichnet, half den Analytikern, den deutschen Wehrmachtsfunk zu entschlüsseln, ein elektromechanisches Universalgenie mit ersten Zügen künstlicher Intelligenz. Erdacht und bedient wurde „Christopher“ vom Duo „Portmanteau“, das wiederum aus den Künstlern, Musikern und Theatermachern „Greulix“ Schrank und Christian Heiß besteht. Die aufwendig konstruierte, „intelligente“ Denkmaschine war konstruiert aus 20 LED-beleuchteten Sortierkästen mit Klangelementen und sichtbar bewegtem Innenleben. „Christopher“ hätte auch auf der Ars Electronica für jede Menge Aufmerksamkeit erregt.

Dramaturgische Längen oder gar Langeweile gab es keine im Stück. Stattdessen herrschte Hochspannung den ganzen Abend lang. „Seht die Schale! Sie verdeckt, was im Apfel sich versteckt“, waren Turings letzte Worte im Spiel, als er mit einem mit Zyankali vergifteten Apfel sein Leben aushauchte.

Der Kulturbühne Spagat gelang auch tatsächlich der schwierige Spagat zwischen der Biografie eines mathematischen Genies, der Tragödie seines Lebens und der Bedeutung für den Ausgang des Zweiten Weltkrieges auf schauspielerisch und künstlerisch höchstem Niveau. „Alan Mensch Maschine“ erhob nicht den Anspruch, historisch korrekt zu sein. Genial aber waren die Inszenierung und ihre Akteure in jedem Fall, was vom Publikum mit langanhaltendem und stehendem Applaus zu Recht honoriert wurde. Wolfgang Janeczka

Artikel 4 von 4