Grassau – In Grassau wurde Anfang Mai der in Autorenkreisen beliebte und etablierte Literaturpreis „Deichelbohrer“ verliehen. Der renommierte, viel diskutierte und auch schon mal kritisierte Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt war dagegen erst acht Wochen später dran. Jetzt mögen kritische OVB-Leser die Stirn runzeln, da ist dem Autor beim Einstieg ins Thema Literaturpreise wohl die Perspektive verrutscht! Doch da wollte einer nur leicht provozieren und so die grenzenlose Vielfalt bei den Literatur-Veranstaltungen demonstrieren. Als Organisator des Grassauer Deichelbohrers weiß er, wir wollen doch alle nur das eine: die Literatur, die Autoren sowie das Schreiben und Lesen fordern, fördern und lobpreisen.
Bei den Preisen hat das Goethe-Institut vor 20 Jahren eine jährliche Vergabe von 1331 Literaturpreisen gezählt, schon damals ein europäischer Spitzenwert. Inzwischen dürften es ein paar mehr geworden sein, darunter eben auch seit dem Jahr 2019 der Kurzgeschichten-Wettbewerb der Marktgemeinde Grassau mit dem seltsamen Namen „Deichelbohrer“.
Der zählt zwar zur Kategorie der kleineren regionalen Preise, von denen es unzählige gibt, doch haben sich bei seinen bisher vier Ausschreibungen jedes Mal über 500 Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt. Eine Vergleichszahl aus Klagenfurt gibt es nicht, es ist nur bekannt, dass dort vierzehn vorausgewählte Bewerber in einer dreitägigen Lese-Veranstaltung nacheinander antreten und etwa 25 Minuten lang ihre bisher unveröffentlichten Prosatexte vortragen. Zuhörer sind ein Saalpublikum und die Fach-Jury und jeder Text wird anschließend öffentlich diskutiert, was dann alles im Fernsehen des ORF nachverfolgt werden kann.
Diese Art von dominanter Öffentlichkeit kann für die Gewinner der insgesamt fünf vergebenen Preise eine feine Sache oder auch eine Qual sein, ist damit doch gleichzeitig die Tür für jede Art und Unart von Kritik weit geöffnet. Auch die Lesung des eigenen Textes ist für manche Autoren eine harte Prüfung, und so wurde für die drei „Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur“ auch schon mal das kritische Wort vom Zirkus benutzt.
Wer in der Klagenfurter Arena auftritt, ist aber meist durch den Literaturbetrieb gut trainiert, hat oft schon mehrfach veröffentlicht und sich einen Namen gemacht. Die gleiche Autoren-Klientel ist auch regelmäßig zu Gast beim Georg-Büchner-Preis, dem Goethepreis, dem Heinrich-Heine-Preis oder dem Bayerischen Buchpreis, um nur ein paar Beispiele für prominente Literaturpreise zu nennen, die heuer noch vergeben werden.
Der Grassauer Deichelbohrer und die vielen hundert weiteren kleinen regionalen Preise betreiben dagegen mehr eine literarische Wurzelpflege, bereiten den Boden für alle, die noch nichts oder wenig veröffentlicht haben, gerade erste Schreibversuche machen oder einfach nur mit Begeisterung ihre Geschichten erzählen möchten. Gerade diese Autorenkreise liegen der Grassauer Jury am Herzen, auch weil sie dort immer wieder überraschende Funde gemacht hat.
Der diesjährige Bachmann-Preis ging an den Autor Tijan Sila für seinen Text „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“. Die prämierten sechs Kurzgeschichten beim aktuellen Deichelbohrer können Literaturfreunde heuer wieder in der traditionell veröffentlichten Anthologie nachlesen (Download über www. grassau.de/preisverleihung-2024), zusammen mit allen Informationen über die Autorinnen und Autoren, die Jury und die Verleihung in der Villa Sawallisch als besonderem Schauplatz.
Für den Ruf des Deichelbohrers als literarisches und kulturelles Familienfest spielen das Gästehaus, die Villa und der wunderschöne Park eine entscheidende Rolle. Die Gastfreundschaft und das Programm der Gemeinde Grassau sowie der heiter-musikalische Rahmen der Preisverleihung haben sich herumgesprochen, besonders auch das Angebot, die eigenen Texte bei der Preisverleihung nicht selbst lesen zu müssen – eben „lesen und lesen lassen“. Das übernimmt seit zwei Jahren mit großem Erfolg beim Publikum Sebastian Fischer, Hörbuchsprecher und Theater-Profi. Seine Lesung sorgt bei allen Beteiligten für eine entspannte Stimmung, die vielleicht auch dem Zirkus in Klagenfurt guttun würde.
Den gibt es jetzt seit 48 Jahren, während der Deichelbohrer 2026 erst sein Fünfjähriges feiern wird. Es kann also noch dauern, bis ein erfolgreicher Deichelbohrer-Gewinner oder eine Gewinnerin auch mal bei Ingeborg Bachmann antritt. Ihr hätte das sicher gefallen.
Klaus Bovers