Politische Mahnungen zur Walpurgisnacht

von Redaktion

Die Tiroler Festspiele Erl mit disparatem musikalischem Programm eröffnet

Erl – Das Programm des Eröffnungskonzerts der Tiroler Festspiele Erl mag der Gefühlslage des scheidenden Intendanten Bernd Loebe entsprechen, nicht aber einem festlichen Konzert: das schmerzhaft-traurige „Adagio“ von Samuel Barber, das man seit 2001 immer mit den einstürzenden Twin Towers verbindet, der blechgepanzerte Patriotismus der „Finlandia“ von Jean Sibelius, die sarkastisch gebrochenen Volksliedanklänge in der Auswahl von Mahler’schen „Wunderhorn“-Liedern – so gipfelte alles in der „Walpurgisnacht“ von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Zahlengespickte
Gedanken

Die beiden Begrüßungsreden waren überraschend sehr politisch: Der Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner trägt seit 20 Jahren seine Gedanken zum vereinigten Europa vor. Diesmal stellte er seine zahlengespickten Gedanken unter das Heraklit-Zitat „Die Veränderung ist die einzige Konstante im Leben“ und plädierte inständig angesichts der heutigen Krisen für ein Umdenken. Er sagte einer „Festung Europa“ ab, verneinte eine Viertagewoche und forderte stattdessen mehr Arbeit bzw. mehr Menschen, die arbeiten, das heißt: eine verjüngende organisierte Zuwanderung mit Qualifizierung, also eine gezielte Migration, denn: „Aus Immigranten werden Europäer!“ Das sorgte für hörbares Stirnrunzeln im Publikum. Dann bekam er doch noch die Kurve zum Anlass des Abends, definierte die Kunst als Veränderin, als Mahnerin und Provokateurin, bedankte sich bei Bernd Loebe (etwas vergiftet) für einmalige Opernabende bei Opern-Raritäten und beim ebenfalls scheidenden Chefdirigenten Erik Nielsen, der an diesem Abend aber nicht dirigierte.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen war nicht erschienen, so lag die politische Begrüßung beim Landeshauptmann Anton Mattle. Der zeigte sich besorgt über die immer größer werdende Anzahl autoritär regierter Staaten und warnte davor, sich in einer Demokratie allzu sicher zu wähnen: „An Demut und Freiheit muss gearbeitet werden!“ In Krisenzeiten müsse zusammengehalten werden, dieser Zusammenhalt könne in kulturellen Zusammenhängen gesucht werden, also müsse man der Kunst Raum geben. Er schloss mit einem Zitat von Klaus-Maria Brandauer: „Wahre Heimatliebe ist frei von Nationalismen.“

Bedeutungsschwer, aber noch nicht bezwingend begannen die Streicher des Festspielorchesters Barbers „Adagio“. Die Dirigentin Julia Jones ließ alles ruhig fließen, bis der Streicherklang doch intensiver und dann brennend und flammend wurde. In der aufgewühlt lärmenden „Finlandia“ brillierten die Blechbläser, die völlig uneitle Dirigentin brillierte mit punktgenauer, aber insgesamt sparsamer Gestik. Die wurde dann bei den Mahler-Liedern so rhythmisch präzise, dass das Orchester gar nicht anders konnte, als ihr zu folgen. Es begleitete den Sänger leis kichernd und ironisch marschierend wie ein ironischer Kommentar zu der Bundesmusikkapelle Erl, die draußen die Zuhörer mit Marschmusik begrüßt hatte. Mikolaj Trabka sang die Lieder kampfeslustig-kraftkerlig und kernig-burschenhaft mit wendiger und raumfüllender Stimme. In „Der Schildwache Nachtlied“ und „Revelge“ betonten Sänger und Dirigentin mehr das Humoristische als das Beklemmende, das Humoristische spielte Mikolaj Trabka dann zu des Publikums Freude genüsslich aus im „Lob des hohen Verstandes“, in dem der Esel als Juror im Wettstreit zwischen Kuckuck und Nachtigall erscheint – eine ganz subtile Art der Kritikerbeschimpfung, hatte Mahler doch ursprünglich das Lied betitelt mit „Lob der Kritik“…

Dramatische Erregtheit, orchestrale Ekstase mit irrlichternden Flöten und aufheulenden Streichern und ein veritables „Rundgeheule mit Kauz und Eule“ entfesselte schließlich Julia Jones mit dem hervorragend aufspielenden Orchester und dem sehr gut einstudierten und konsonantenscharf artikulierenden großen Festspielchor in „Die erste Walpurgisnacht“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Brian Michael Moore mit sehr hellem, etwas engen Tenor, die etwas blass bleibende Mezzosopranistin Hanna Larissa Naujoks und der kraftvoll singende Bass Manuel Walser waren die Solisten.

Musikalischer Verweis

aufs Politische

Diese Kantate auf eine Goethe-Ballade, in der heidnische Druiden sich mit den „Pfaffenchristen“ einen Kampf liefern, verwies dann doch wieder auf die politischen Begrüßungsreden, weil Mendelssohns Kantate oftmals als Kampf gegen das dogmatische Philistertum oder als Dialektik zwischen Tradition und Innovation gelesen wird: Die oft wiederholten Schlussworte „Dein Licht, wer kann es rauben?“ war dann wie ein Hoffnungslicht in Krisenzeiten.

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