Zündende Rhythmik und tiefe Bässe

von Redaktion

Premiere von Verdis „Nabucco“ bei den Opernfestspielen auf Schloss Amerang

Amerang – Der Regen rauschte auf die Überdachung des Innenhofs des Schlosses Amerang, aber die dramatische Spannung, die bei Verdis Oper „Nabucco“ herrschte, übertönte leicht den Regen. Diese Spannung ging diesmal vor allem vom Orchester aus. Auf und vor der vielleicht kleinsten Opernbühne der Welt findet ja nur ein verkleinertes Orchester Platz, insgesamt waren es einschließlich eines Clavinovas (das vielleicht öfters seine Klangfarben mit hineinmischen hätte sollen) 18 Musiker.

Im musikalischen
Brennglas

Diese kleine Besetzung verschärft den Klang und zeigt wie in einem Brennglas das, womit Giuseppe Verdi diese Oper zum Erfolg brachte: zündende Rhythmik und auserlesene Instrumentalisierung. Patrick David Murray peitschte die Musiker schwungvoll-jagend zur Spannung und ließ die einzelnen Orchesterfarben aufleuchten, ob die qualitätvollen Hörner, die aufflatternden Flöten oder das klagende Englischhorn, vor allem die hervorragenden Geigen (die Schwestern Mariko und Mamiko Miyazaki).

Natürlich sind auf dieser kleinen Bühne keine großen Aktionen möglich. Das Bühnenbild von Hendrik Müller – wie immer viel höher als breit, dafür mit Tiefenperspektive – zeigte einen orientalischen Palast mit einem schachbrettartigen Boden, auf dem einige Schachfiguren standen bzw. lagen: Geschichte als grausam reales Schachspiel, in dem die Hauptfiguren – wie der babylonische König Nabucco – mal verlieren, mal gewinnen. Mobiliar gibt’s keines, keine Baal-Statue stürzte ein, nur Blitze zucken wirkungsvoll, als Requisiten dienen nur ein kleiner Dolch, ein größeres Schwert und die Königskrone, die öfter die Köpfe wechselt. Ingo Kolonerics, der die Inszenierung verantwortet, wollte wie immer die Musik als Handlungsträgerin zeigen.

Deshalb lag die Hauptaktion auf den Sängern. Kolonerics ist dabei – neben den alten Kämpen – immer auf der Suche nach jungen frischen Kräften, die von den Bühnen in aller Welt nicht berücksichtigt werden. Jonathan Story als der hebräische Priester Zaccaria hat mit seinen 84 Lebensjahren nicht nur eine stattlich-ehrwürdige Statur, sondern einen immer noch mehr als stattlichen tiefen Prachtbass, den er gerne voll aussingt. Nur bei seiner Gebets-Arie „Vieni, o Levita“, die normalerweise von sechs Celli begleitet wird, hier aber nur von zwei, versinkt sein Bass in undefinierbare orgelnde Tiefen. Mit Nejat Isik Belen als ausdrucksintensivem Nabucco liefert er sich einen Sängerwettstreit der Bässe, den noch Fernando Araujo als Baalspriester mit edlem Bassbarion vervollständigte.

Dass Bässe die Hauptrollen sind, ist Verdis damaliger Überraschungscoup, genauso wie die Tatsache, dass Ismaele, der einzige Tenor, um den sich zwei Prinzessinnen streiten, fast bedeutungslos ist. Bedeutungslos ist nicht die Stimme von Eray Tozan: Dieser junge türkische Sänger sieht nicht nur gut aus, bewegt sich nicht nur ganz natürlich auf der Bühne (sofern ihm Bewegung gestattet ist), sondern singt mit einer sympathisch-frischen, unbekümmert strahlender Stimme, die nur in der Höhe und im Forte ein bisschen unbeweglich wird. Noch mehr staunt man, wenn man hört, dass dieser junge Sänger vorher noch nie auf einer Bühne gestanden ist! Genauso wie die junge spanische Sopranistin Nerea Gonzales – und trotzdem war sie diejenige, die am natürlichsten mit Augen, Augenbrauen und Gesten spielte. Ihre Partie als die böse Prinzessin Abigaille, die Nabucco den Thron entreißen will, verlangt Sopran- und Altstimme zugleich. Mühelos glitt und stürzte sie koloraturenreich von Spitzentönen hinunter in gefährlich drohende Alttiefen und schaffte dazu das Kunststück, dass man sie bei aller Böshaftigkeit sympathisch fand. Eine vielversprechende Entdeckung von Ingo Kolonerics! Vor Liebe überfließend strömte der Sopran von Selin Dagyaran als Fenena dahin, die ebenfalls Ismaele liebt.

„Nochmal bitte“
war vergebens

Alle Chorszenen dieser Chor-Oper fielen weg bis natürlich auf den, dessentwegen wohl die meisten Zuhörer kamen und um dessen Wiederholung („Nochmal bitte!“) ein Zuhörer vergeblich bat: der berühmte Gefangenenchor. Dazu stellten sich, mit brennenden Kerzenlichtern in der Hand, alle Sänger auf die Bühne – auch Nabucco und seine Töchter, also die Feinde der Hebräer: Die Feier der Freiheit und der Hoffnung gilt für alle. Nach oftmaligem Zwischenapplaus gab’s herzlichen Schlussapplaus.

Am 20. Juli

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