Bruckmühl – Wer die Entwicklung der Volksmusik in einer Region zwischen Beharren und Wandel, zwischen Tradition und Innovation dokumentieren und beschreiben will, braucht dafür viele verschiedene Quellen: Das sind vor allem die Noten der Musikanten, die Texte der Sänger, die Bewegungen der Tänzer, die Bräuche im Leben – also die Beziehungen von Mensch und Musik.
Die Volksmusikanten haben oft auswendig gespielt oder nach ihren Notenhandschriften, ebenso wurden die Lieder auswendig gesungen oder mit Erinnerungshilfen in Texthandschriften. All dieses auf der mündlichen Überlieferung basierende vornehmlich und eigentlich schriftlose Musizieren und Singen, natürlich auch das Tanzen und das Wissen um die musikalischen Bräuche kann man feststellen, wenn man die Gewährspersonen, die Träger der Traditionen und die Anpasser und Erneuerer alter Überlieferungen für die eigene musikalische Gegenwart persönlich befragt. In diesen Forschungsgesprächen, in dieser als „Feldforschung“ benannten Arbeitsform, kann man einige Aspekte der mündlichen Überlieferung festhalten, die sonst mit den „alten“ Musikanten ins Grab gesunken wäre.
Als junger Sammler der Volkstänze und überlieferten Tanzformen und Tanzmusik vornehmlich im Landkreis Rosenheim konnte ich feststellen, dass ohne dieses mündliche Wissen der Sänger, Musikanten und Tänzer ein wesentlicher Inhalt von Musik, besonders von Volksmusik nicht greifbar ist: Vor allem gedruckte Noten sind tot, geben keinen Einblick in die wirklich lebendige Musik – dazu ist das mündliche Wissen notwendig, das sich immer weiterbildet. Volksmusik lebt von der Veränderung, der langsamen Weiterentwicklung – und dazu braucht es stetig neue Informationen für die Sänger, die Tänzer und die Musikanten.
Neben mehreren anderen Faktoren lieferte gerade auch die Tageszeitung immer neues Wissen und „Material“, das für die Weiterentwicklung der Volksmusik wichtig war. Ob es nun die Information über neue Tänze im 19. Jahrhundert war, als es noch keine Zeitung für alle Tage gab, sondern nur zweimal oder dreimal in der Woche – oder neue Liedertexte auf bekannte Melodien, als in den 1830er Jahren der Wittelsbacher Prinz Otto in das griechische Abenteuer zog und dabei seinen Weg über Ottobrunn, Aibling und Kiefersfelden nahm – alles fand seinen Platz und seine Erwähnung in der Zeitung. Gerade Liedertexte zu aktuellen Ereignissen kamen durch die Zeitung zu den Menschen, die diese dann vielleicht in ihr Repertoire aufnahmen.
Wastl Fanderl (1915 bis 1991) entdeckte die Zeitung als Transporteur seiner Liedschöpfungen. Die Sänger schnitten die Liedabdrucke aus und klebten sie in ihre Liedhandschriften. Die Verbreitung der neuen „Fanderl-Lieder“ war ab den 1950er-Jahren in dieser Weise gesichert. Daneben konnte man aus der Zeitung vieles erfahren, wer, wann, wo zum Tanz aufspielte, welche volksmusikalischen Heimatabende der Kiem Pauli in den 1930er-Jahren veranstaltete, welche Sängergruppen welche Lieder auf der Bühne oder im Radio vortrugen.
Deshalb habe ich schon Mitte der 1970er-Jahre begonnen, alle für die Volksmusik und die regionale musikalische Volkskultur irgendwie interessanten Beiträge aus unserer Heimatzeitung auszuschneiden, zu sammeln und in Ordnern zu registrieren. Damit lässt sich ein Abbild eines Teils des volksmusikalischen Lebens im Altlandkreis Bad Aibling in den letzten 50 Jahren erstellen. Da haben meine Eltern mitgeholfen, Freunde und dann Mitglieder vom Förderverein des damaligen Volksmusikarchivs des Bezirks Oberbayern in Bruckmühl – bis heute führen wir in der Volksmusikpflege des Landkreises Rosenheim diese Dokumentationsarbeit weiter.
Wer will mithelfen?
Derzeit bauen wir um unsere bisherigen „Zeitungsbeobachter“ eine neue Truppe auf, die für die Kreisvolksmusikpflege ehrenamtlich beim analogen Ausschneiden, Sortieren und Registrieren früherer „Mangfall-Boten“ oder alter Ausgaben des „OVB“ mithelfen möchte. Melden Sie sich bitte bei ernst.schusser@heimatpfleger.bayern oder beim Förderverein Volksmusik Oberbayern (83052 Bruckmühl, Pfarrweg 11, Telefon 08062/ 8078307). Wir freuen uns über Ihre Mithilfe! Ernst Schusser