Amerang – Seit 2006 machen August Zirner, der Querflöte spielende Schauspieler, und das Spardosen-Terzett, bestehend aus Mickey Neher (Schlagzeug), Kai Struwe (Kontrabass) und Rainer Lipski (Klavier), gemeinsam Musik. Ende der 1990er-Jahre gegründet, hat das Essener Trio vor allem mit dem Satiriker Wiglaf Droste als Frontmann von sich reden gemacht („Wieso heißen plötzlich alle Oliver“).
Jazz-Legenden
nachgespürt
Im gemeinsamen Programm „Diagnose Jazz“, das 2010 als Live-Mitschnitt aus der Berliner „Bar jeder Vernunft“ veröffentlicht worden ist, spüren sie drei Legenden des Modern Jazz nach: Thelonius Monk, Charles Mingus und Rahsaan Roland Kirk.
Neben Interpretationen von Klassikern wie „Portrait of these beautiful Ladies“ (Kirk), „Back Home Blues“ (Monk) und „Goodbye Pork Pie Hat“ (Mingus) sind es die Geschichten, Anekdoten und Wortschnipsel, die August Zirner in lässigem Tonfall, teils in amerikanischem Slang vorträgt, die einen emotionalen Zugang zu den skizzierten Musikern ermöglichen. Sie stammen zum einen von Mingus selbst („Beneath the underdog“) und von Sue Graham Mingus („Tonight at noon. Eine Liebesgeschichte“). Zum Großteil aber sind es Auszüge aus dem 1991 veröffentlichten Buch „But Beautiful“ des Briten Geoff Dyer, in dem die zentralen Figuren des Modern Jazz in einzelnen Erzählkapiteln charakterisiert werden. Der Autor erklärt und verklärt seine „Helden“ zugleich und schildert das schwierige Leben der schwarzen Musiker wortgewandt. Das ist oft amüsant, aber auch immer wieder sehr bewegend. Entsprechend komplex ist das Programm, mit dem August Zirner und das Spardosen-Terzett nun erstmalig auf Schloss Amerang zu erleben waren.
Der Abend begann mit „Syrinx“, Debussys mythisch betörender Komposition für Querflöte. Hier konnte Zirner sogleich sein musikalisches Talent unter Beweis stellen. Debussy öffnete die Tür zu Charles Mingus, zählte er doch zu dessen Vorbildern. Genauso wie Duke Ellington, von dessen famosem Stück „Caravan“ eine ganz ähnliche Sogwirkung ausgeht.
Das Publikum war von Anfang an mit Begeisterung dabei und spendete großzügigen Applaus.
Als „Mischling“ mit afrikanischen, asiatischen und europäischen Wurzeln reagierte Charles Mingus, der Ausnahme-Bassist, besonders sensibel auf die bis in die 1960er-Jahre virulenten Rassenkonflikte. Er ging keinem Streit aus dem Weg, auch nicht, wenn er auf der Bühne stand, wofür er schließlich vom „Duke“ gefeuert wurde.
„Seine Musik kam den Plantagenschreien der Sklaven nahe, und sein Sprechen dem rohen Chaos des Denkens“, rezitierte Zirner Geoff Dyer. Wie Zorn sich anhören kann, demonstrieren die Musiker anhand des „Work Song“ von Charles Mingus. Hier wird das harmonische Zusammenspiel der Instrumente immer wieder von einem erbarmungslosen Rumsen unterbrochen. Um diesen berstenden Ton zu erzeugen, stemmte Pianist Rainer Lipski seinen linken Arm mit ganzer Körperkraft auf die Tastatur.
Dass jedes Gefühl, auch das Lachen, zu Musik werden kann, für diese Erkenntnis musste Mingus den blinden Musiker Rahsaan Roland Kirk kennenlernen, von dem die Legende sagt, er habe drei Saxofone auf einmal spielen können. In Kirks „A Laugh for Rory“ gab die Querflöte den Ton an, erhob sich in höchste Gefilde und forderte fröhlich-munter die anderen Instrumente heraus.
August Zirner wurde für seine Interpretation mit Bravos gefeiert. Kirk war wie Mingus: „Alles, was er spielte, hatte in sich den Ruf, den Schrei, der das schlagende Herz schwarzer Musik ist.“
Ein Hipster
seiner Zeit
„Thelonius Monk verließ nicht gerne die Wohnung und seine Worte verließen nicht gerne seinen Mund.“ Mit diesen Worten leitet Zirner nach der Pause in den letzten Teil des Abends ein. So wortkarg Monk auch war, die Worte für die Titel seiner Songs konnten nicht groß genug sein: „Epistrophy“, „Crepuscule“ oder „Misterioso“. Mit Spitzbart und kreativen Kopfbedeckungen war Monk ein Hipster seiner Zeit. Er vollführte Tänze vor dem Klavier und seine Musik „klang so, als könnte sie sich in sich verknäulen“. Der Mitbegründer des Bebop war ein komischer Mann. Sind Jazz-Musiker nicht überhaupt komische Vögel? Diese These vertritt zumindest August Zirner, der Kuckuckspfeifen an seine Musikerkollegen verteilt und Rahsaan Roland Kirks beschwingte „Serenade to a Cuckoo“ anstimmt, womit der Abend ein furioses Ende nimmt.