Bachs italienischer Seele nachgespürt

von Redaktion

Herrenchiemsee Festspiele mit glanzvollem Konzert auf Frauenchiemsee eröffnet

Frauenchiemsee – Wie üblich wurden die Herrenchiemsee Festspiele mit Musik von Bach auf Frauenchiemsee eröffnet. Es war aber kein Bach pur, sondern Bachs Reaktion auf die italienische Musik seiner Zeit, hier auf die Musik von Antonio Vivaldi, Pietro Antonio Locatelli und Giovanni Battista Pergolesi.

Unbekümmerte
Bearbeitungen

Man weiß ja, dass es Bach, wie im Programmheft formuliert, als einem der ersten gelang, „die Grundmuster deutscher und italienischer Ästhetik miteinander zu verbinden“. Das heißt, Bach studierte, kopierte, exzerpierte, adaptierte und bearbeitete diese italienische Musik unbekümmert: Von einem Bach bearbeitet zu werden, ist eine Auszeichnung. Mit „Bachs Italianità“ war das Konzert betitelt, man war also gewissermaßen der italienischen Seele Bachs auf der Spur.

„Man“ heißt hier das Orchester der Klangverwaltung unter der Leitung von Reinhard Goebel. Der ist nicht nur ein profunder Kenner und Gestalter der Barockmusik, er ist auch ein Meister der Rasanz. Vivaldis a-Moll-Concerto RV 522 hat Bach als Orgelkonzert bearbeitet. Das Original hier brannte in fein abgetöntem italienischem Feuer, loderte aber nicht. Man sah, wie eifrig die Musiker spielten, es teilte sich aber nicht unmittelbar mit.

Von dem Concerto grosso f-Moll op. 1/8 von Locatelli hatte Bach sich eine Stimme abgeschrieben, wie Goebel selbst in eifriger Hast erklärte, so hastig, dass er kaum zu verstehen war. Auch dieser Locatelli zündete noch nicht, obwohl die Musiker das dichte Stimmen-Geflecht mit den vielen harmonischen Rückungen im Grave freilegten und den rhetorischen Ausdrucksreichtum im Largo Andante hervorhoben.

Im vorletzten Satz kamen sie dann merklich in homogenen Schwung – Goebel bremste den aber nicht in der Schluss-Pastorale, die gerne als Weihnachtsmusik genommen wird, sodass der Wiege-Rhythmus zu überhastet war: Die Hirten schienen ihren Schafen nachzulaufen…

Das Concerto D-Dur BWV 1064 ist eigentlich ein musikwissenschaftliches Rätsel: Die Urfassung liegt nicht vor, wohl aber eine Bearbeitung für drei Cembali, wohingegen die Fassung für drei Violinen eine Rekonstruktion ist, wofür Bachs Urheberschaft angezweifelt wird. Sei’s drum: Mit diesem Bach begann das Konzert von ganz Neuem. Mit Frische, Begeisterung und deutlich erhöhter Spiellust stürzte sich das – verkleinerte – Orchester in dieses glanzvolle Werk, die drei Solo-Violinen (Rebekka Hartmann, Michal Majersky, Ingrid Friedrich) brachten Schwung und Swing und auch im Adagio zehrende Süße, während hier der Basso continuo mit rhetorischem Nachdruck sein Ostinato ausführte.

Der Schluss brachte ein Unikum, wenn nicht sogar Kuriosum: Bach hat das berühmte „Stabat mater“ von Pergolesi adaptiert, bearbeitet und mit einem neuen deutschen Text unterlegt und so eine Bach-Kantate daraus gemacht. Er hat, wenn man sagen darf, Pergolesi gewaltsam germanisiert. Als wollte Goebel das Gewaltsame dabei betonen, ließ er die Musiker mit harten und kantigen Akzenten spielen.

Die Stimmenbesetzung beließ Bach – sodass man erst recht immer wieder das Original im Kopf hörte. Bachs Unbekümmertheit im Umgang mit italienischer Musik fand ihren Widerhall in den beiden Solistinnen. Beide Stimmen harmonisierten, indem sie sich ergänzten: Elisabeth Breuer mit einen hellen, freudigen, natürlich fließenden und schnell auf Touren kommenden Sopran mit jugendlichem Charme und Olivia Vermeulen mit einem fein abgedunkelten, bisweilen dramatisch auflodernden Mezzosopran.

Entflammt
und angezündet

Beide führten ihre Stimmen sehr instrumental, beide erreichten schnell hohe dynamische Drehzahl, beide artikulierten mit Nachdruck und beide sangen mit leidenschaftlicher Italianità – „flammatus et accensus“, also entflammt und angezündet, heißt es ja im lateinischen Urtext im italienischen Original. Vielleicht ist die ursprüngliche Italianità doch wirksamer als die germanisierte.

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