Rosenheim – Hinrich Meier, Student der Sprachgeschichte, versucht im Seminargespräch – es geht um Nachsilben und Grundwörter bei Ortsnamen, beispielsweise auf -ing, -heim, -hausen, -hofen, -dorf und andere – etwas Schwung hineinzubringen: „Was? Ihr meint alle, -heim, -ham, -kam bedeuten allesamt dasselbe? Heimat, Wohngegend, Wohnung, Stätte? Nee, da bin ich andrer Meinung!“
Sogleich versucht der gebürtige Emsländer seinen Einwurf zu begründen: „Im Emsland haben wir das Dorf Schapen. Dieses ist im neunten und zehnten Jahrhundert als ‚ad Scapaham‘, im elften Jahrhundert als ‚Scappahamma‘ und erst 1386 als ‚Scaphem‘ und 1825 als ‚Schapen‘ urkundlich belegt.“
Bei den anderen Seminaristen macht sich Überraschung breit. Bisher herrschte die Auffassung, aus germanisch haima/haimi habe sich althochdeutsch heim/haim entwickelt, das dann später im Dialekt zu -ham verändert wurde. Im Falle des Namens von Schapen scheint die Entwicklung aber geradezu um 180 Grad anders gelaufen zu sein: Zuerst -ham, dann erst -hem beziehungsweise -heim. Das gibt‘s doch nicht?
Der Hinrich genießt die Überraschung und holt zur Erklärung aus: „Es liegen bei -ham und -hem zwei verschiedene Wörter vor. Bei Scapaham erkennen wir neben dem Bestimmungswort Scapa = Schaf das Grundwort Ham, Hamm. Siehe die Stadt Hamm in Westfalen. Das alt- und mittelniederdeutsche ‚hamm‘ bedeutete ‚Einfriedung, Zaun, Pferch‘, wofür Hecken, Wälle, Zäune oder Gräben in Frage kamen. Ab 1386 wurde aber im Namen Schapen das Wort Hem, also Heimat oder Wohnstätte, eingedeutet. So wurde gleichsam aus der Schafweide der Schafstall. Es gab hier also keine lautliche Entwicklung von ham zu hem, schon gar nicht von hem zu ham!“ Der Paul aus Apfelkam ist fasziniert von der neuen Theorie: „Ja freile! Apfelkam bedeitt ned ‚Heimat von Holzäpfeln‘, sondern ‚eingezäunte Apfelwoad‘! Bassad guad.“
Aber der Seminarleiter erteilt den Auftrag: „Schaut’s doch bittschön einmal nach, ob auch unsere Orte auf -ham und -kam von Anfang an das a vor dem m hatten, so wie Schapen im Emsland.“ Für diese Aufgabe hilft der „Meixner“. Im Standardwerk „Die Ortsnamen der Gegend um Rosenheim“ zeitigt die Suche ein eindeutiges Ergebnis: Kein einziger Ortsname dieser Gattung startet mit -ham; allesamt lauten anfangs auf -haim oder -heim! Der Hinrich merkt an: „Na klar doch! Ich sachte doch: Hamm als Zaun, Einfriedung ist ein niederdeutsches, also plattdeutsches Wort. Darum kann das hier in oberbayerischen Ortsnamen ja gar nich‘ vorkomm‘. Scherz!“
Die Sprachrunde erzielte aber Einigkeit darin, beim Namen von Rosenheim Meixners Erklärung zu akzeptieren, wonach Rosenheim wohl infolge seines städtischen Charakters die schriftsprachliche Form „heim“ bewahrt habe.
Oder hat jemand vielleicht schon die mögliche neubairische Form „Rosenhoam“ gehört?
Aber beim Namen von
Nicklheim, laut Meixner vor dem 18. Juni 1906 als Kollerfilze bekannt, sind allen Seminarteilnehmern keine Abweichungen à la Nicklhoam oder Nicklham oder gar
Nicklkam bekannt. Noch nicht? Armin Höfer