Rosenheim – Ein makellos blauer Himmel schloss Regen von vorneherein aus. Später illuminierte der volle Mond das Inntal – die Veranstaltung wurde absolut zur Wohlfühlzone. Die vielen Zuhörer waren erwartungsvoll gespannt, was ihnen der rührige und einfallsreiche Dirigent Andreas Penninger zum Abschied der Saison im Pfarrzentrum Heilig Blut bieten würde.
Als Motto dienten „Die Tageszeiten“ und von Morgen über Mittag bis zum Abend ging die vergnügliche Reise, die vom A-cappella-Gesang des großen Chors und den Streichern (ohne Holz und Blech) gestaltet wurde. Mit Verve, Elan und munterer Präzision versicherten Sängerinnen und Sänger „All Morgen ist ganz frisch und neu“ von Johann Walter aus dem 16. Jahrhundert. Und Melchior Vulpius, der in jenem Jahr 1570 geboren wurde, in dem Walter starb, bestätigte „Die helle Sonn leucht jetzt herfür“. Da die Akustik im Freien durchaus optimal schien, klangen auch die gut trainierten Stimmen „ganz frisch und neu“. Schließlich ist A-cappella-Gesang für Oratorien-Chöre eine (lohnende) Herausforderung! Auch die Streicher waren gewissermaßen „a cappella“: Das dritte Brandenburgische Konzert von Bach ist wohl das kompakteste der Reihe. Ohne schmeichelnde Melodik stürmt die Musik voll wilder Motorik dahin, die einzelnen Gruppen werfen sich die Motive zu – eine aufregende Tour-de-Force, welche die Streicher unter dem temperamentvollen Dirigat von Andreas Penninger ohne Blessuren bewältigt haben. Zur Mittagszeit servierte der Chor zwei köstliche romantische Chorwerke, deren Titel allein schon Erfrischung versprach: Von Mendelssohn Bartholdy „Auf dem See“ und von Robert Schumann „Am Bodensee“. Diese wild bewegten Wasserfluten wurden durch die farbige und anschauliche Interpretation fast körperlich spürbar. Es folgten zur Beruhigung vier „Novelletten“ des dänischen Romantikers Nils Wilhelm Gade, gemalt mit kühlen, feinst abgestuften Farben. Nun war die Klangsensibilität der Streicher zu bewundern, der Schmelz der Violinen (allen voran der junge Konzertmeister Lewin Creuz) sowie die sonore Geschmeidigkeit der tieferen Bratschen, Celli und Bässe.
War man am „Abend“ schon müde? Keineswegs! Übermütig und turbulent spielte „Der wandernde Musikant“ von Mendelssohn Bartholdy auf, und das vielgesungene und unverwüstliche „Tanzen und Springen“ des alten Hans Leo Hassler mischte das Publikum auf. Der Chor zeigte offensichtlich noch keinerlei Ermüdungserscheinungen.
Zum Abschluss des Abends wieder vier Novelletten (von der Länge her durchaus ausgewachsene Novellen!), jetzt jedoch mit exotischem Touch. Der hierzulande unbekannte Schwarz-Afrikaner Samuel Coleridge-Taylor, dessen Leben 37-jährig 1912 endete, schrieb eine hochromantische Musik, die zwischen Europa und südlichen Zonen changiert. Als reizvolle Gewürze waren Schellen-Tamburin und Triangel dezente Geschmacksverstärker, man konnte Palmen, Meeresrauschen assoziieren, während Lewin Creuz die schmachtenden Melodien in höchster Höhe und hellstem Glanz zelebrierte. „Leicht zu hören, aber schwer zu spielen“, meinte Dirigent Andreas Penniger. Vom zweiten Teil dieser Aussage merkte das Publikum sicher nichts. Wer die Wohlfühlzone noch nicht verlassen wollte, konnte den Abend bei kühlen Getränken ausklingen lassen.Walther Prokop