In grünem Bausch und Bogen

von Redaktion

Selten gehörte Kammermusik mit außergewöhnlicher Interpretationskraft bei den Tiroler Festspielen Erl

Erl – Das ungewöhnliche Kammerkonzert mit dem ungewöhnlichen Programm spiegelte sich in den Farben wider: Grün angestrahlt war der Bühnenvorhang und grün war das Samtkleid der Pianistin samt grüner einseitig herabhängender Seidenstola, die sich beim heftigeren Spiel bauschte und blähte, und blaugrün gehalten waren die Roben der beiden Geigerinnen, während die beiden Herren sich in konventionelles Blau gewandet hatten: Die amerikanische Pianistin Claire Huangci, die schon im letzten Jahr in Erl vom Publikum gefeiert wurde, hatte sich mit dem Aris-Quartett aus Frankfurt zusammengetan. Ein Konzert gleichsam in grünem Bausch mit zwei (Geigen-) Bögen.

Zunächst hatte Claire Huangci alleine das Sagen bzw. Spielen. Die Klaviersonate es-Moll op. 26 von Samuel Barber (1910 bis 1981) ist die meistgespielte Klaviersonate des amerikanischen Repertoires und wurde von Vladimir Horowitz uraufgeführt. Claire Huangci begann nicht so urwüchsig-barbarisch wie einst Horowitz, dafür mit kontrollierter rhythmischer Energie. Sofort und immer wieder suchte sie das Melodische und entdeckte viel klangzauberische Zartheit und wehmütige Schönheit mit weichen Basstönen, worin sie der Fazioli-Flügel unterstützte. Federnd, flirrend und flatternd im hohen Register gestaltete sie den spieldosenhaft-walzerigen zweiten Satz, gewaltige klangliche und emotionale Steigerung mit dem Rückgang zur wehmütigen Zartheit in h-Moll prägte das Adagio, wohingegen im Finalsatz eruptive Kraft herrschte, aber auch fingerfertige Leichtigkeit und spielerisch anmutende Virtuosität. Die vierstimmige Fuge, die Barber hier komponiert hat, erinnerte ein wenig an Bach-ähnliche Etüdenhaftigkeit, bis alles in einen rauschhaften Schluss mündet. Das Publikum im nicht ausverkauften Festspielhaus (darunter auch Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner) war höchst enthusiasmiert.

Dann betrat das Aris-Quartett allein die Bühne mit dem Es-Dur-Streichquartett von Fanny Hensel, der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy. Längst ist diese Schwester als eigenständige Komponistin anerkannt. Die Streichquartett-Form interpretiert sie sehr eigenwillig, was die im Stehen spielenden Musiker (Anna Katharina Wildermuth und Noémi Zipperling, Violine; Caspar Vinzenz, Viola; Lukas Sieber, Cello) mit Verve und Nachdruck betonten. Melancholisch-schmerzlich in Moll beginnt’s und lichtet sich erst spät ins Dur auf, die Musiker zelebrierten die häufigen Trugschlüsse: Nichts ist hier selbstverständlich, viel will die Komponistin hier sagen. Das Allegretto mit einem Fugato-Mittelteil huscht leicht jagend durch die Harmonien bis zum fis-Moll. Die dicht gearbeitete „Romanze“ trägt ihren Namen zu Recht, sie singt und seufzt schier unendlich, die Musiker setzten dazwischen harsche Akzente, ließen alles aber am Ende schwerelos in die Höhe entschweben. Mit heiter-graziösem Spiel in flirriger Schönheit in fast orchestraler Fülle und häufigen Geigen-Unisoni endet alles, wobei das Aris-Quartett sich in einen veritablen Rausch spielte.

Schwelgerische Fülle produzierte das Quartett zusammen mit Claire Huangci im Klavierquintett f-Moll von César Franck (1822 bis 1890), mit viel Bogendruck bei den Streichern und mit vollgriffig-rauschendem Klang vom Klavier, das die Streicherfülle immer wieder zu befeuern schien. Der punktierte Rhythmus erzeugte immer wieder neue Energie, reichlich Gefühl verströmte sich im „Lento con molto sentimento“ und in einem Feuersturm („con fuoco“ heißt’s hier) endete alles, sodass der Applaus explosiv losbrach: ein ungewöhnliches Programm mit außergewöhnlicher Interpretationskraft, das dann mit der Zugabe, dem „Scherzo“ aus dem Klavierquintett von Robert Schumann, brillant endgültig beendet wurde. RAINER W. JANKA

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