Hohenaschau – Für manche DJs steht fest, dass Barock wie Techno ist. So hat sich der deutsche DJ Marc Romboy vor einigen Jahren einen Namen damit gemacht, die Musik von Johann Sebastian Bach in Techno-Clubs elektronisch aufzufrischen. Lange vor diesem „Techno-Bach“ war es der britische „Punk-Geiger“ Nigel Kennedy, der ab den 1980er-Jahren Barock-Musik von Antonio Vivaldi rockig interpretierte.
Bebende
Konzertsäle
Sie alle können einpacken, wenn Fabio Biondi mit seinem Originalklang-Ensemble „Europa Galante“ italienischen Barock zum Besten gibt. Da beginnen Konzertsäle buchstäblich zu brodeln und zu beben, so wie jetzt bei der Eröffnung des diesjährigen „Festivo“-Festivals in der Festhalle Hohenaschau. Der „Teufelsgeiger“ aus dem sizilianischen Palermo kennt keine Scheu. Nichts ist ihm zu gewagt oder zu schwierig. Er riskiert mit Passion.
Mit schlicht atemberaubender Leichtigkeit nimmt Biondi die kniffligsten Läufe, geradezu akrobatisch seine Virtuosität. Als ob das nicht schon schwierig genug wäre, drückt er noch zusätzlich auf die Tube. Er schärft die Tempi und die markante Rhythmik, arbeitet wirkungsvoll die zahlreichen Effekte und Affekte heraus. Da schlagen die Bögen auf die Saiten, wird auf dem Steg oder am Griffbrett gespielt, um bestimmte Klanglichkeiten zu erzeugen.
So modern kann Barock klingen: reinste Avantgarde. Genau das ist die Mission des 1961 in Palermo geborenen Italieners. Zur Violine ist Biondi erst spät gekommen, mit elf Jahren. Er machte rasante Fortschritte: Schon ein Jahr später spielte er als Solist, und mit sechzehn Jahren eroberte Biondi den traditionsreichen Wiener Musikverein. Mit „Europa Galante“ gründete er 1990 schließlich sein eigenes Barock-Ensemble.
Als zentrale Vorbilder fungieren der „Concentus Musicus Wien“ von Nikolaus Harnoncourt und die „Musica Antiqua Köln“ von Reinhard Goebel. Das Ergebnis ist eine Interpretation, die die rhetorische Klangrede von Harnoncourt und die geschärfte Körperlichkeit von Goebel vereint. Genau dieses Profil war jetzt auch bei „Festivo“ zu erleben. Barock-Musik gehört eben nicht ins Klangmuseum, sondern auf die Tanzfläche.
Schon John Eliot Gardiner hatte einst festgestellt, dass man Bach und den Barock tanzen können muss. Auf diese Weise haben Biondi und seine Truppe auch hörbar gemacht, wie sehr das effekt- und affektreiche „Largo“ aus dem „Concerto grosso“ op. 1 Nr. 3 von Pietro Locatelli eine direkte Brücke schlägt zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Sie wurden nach der Pause gegeben. Generell war dieser Eröffnungsabend programmatisch klug zusammengestellt.
Tollkühn
und wahnwitzig
Mit einer eigenen Reflexion von Francesco Geminiani auf die berühmte Violinsonate „La Follia“ von Arcangelo Corelli ging es los. Von Corelli selber erklang vor der Pause noch das „Concerto grosso“ op. 6 Nr. 4. Das alles wurde von Biondi und seiner Truppe geradezu tollkühn und wahnwitzig gestaltet, ohne jedoch das eigene Ego auszustellen. Hier wurde keine hohle Schau zelebriert.
Ganz im Gegenteil: Das Sein und Wollen der italienischen Barock-Musik wurde stilistisch kenntnisreich verlebendigt. Viele barocke Klangeffekte werden später von der Avantgarde im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Schon am jetzigen Dienstag geht es bei „Festivo“ mit dem berühmten Klavierduo Tal & Groethuysen weiter. Am 3. August gastiert zudem der gefeierte Klarinettist Corrado Giufffredi bei „Festivo“.