Ganz im Bann der Zauberflöte

von Redaktion

Die Hofkapelle München präsentiert auf Herrenchiemsee halbszenische Aufführung der Mozart-Oper

Herrenchiemsee – Die historischen Instrumente sind gestimmt, die Münchner Hofkapelle sitzt in Reih‘ und Glied. Da stürmt der Dirigent Rüdiger Lotter auf die Bühne. Oder ist es etwa der Kapellmeister Henneberg, der 1791 Mozarts „Zauberflöte“ einstudieren sollte und der sich von Mozart gemobbt fühlte? Angetan mit rötlichem Frack samt Spitzenmanschetten erhebt er den Taktstock – doch was rauschend erklingt, ist doch nicht Mozarts unsterbliche Ouvertüre!

Rüdiger Lotter wollte den ungezählten Inszenierungen der „Zauberflöte“ nicht eine neue hinzufügen. Er hatte nur die Idee, mittels einer Zeitreise die Praxisorientiertheit auch großer Meisterwerke aufzuzeigen, den Schweiß, den Stress und die Tränen, ja die oft allzu menschlichen Bedingungen einer Theaterproduktion nachvollziehbar zu machen.

Lotter lässt also das Publikum Zeuge einer Generalprobe sein, die am 28. September 1791 im Theater an der Wieden stattfand. Kapellmeister und Komponist Henneberg, der eine baldige Premiere als unrealistisch einschätzt, kümmert sich erstmal um seinen eigenen Kram und lässt frisch-fröhlich die selbstkomponierte Ouvertüre zur Oper „Der Stein der Weisen“ vom Stapel. Da fährt ihm der Direktor des Theaters und Librettist Emanuel Schikaneder wütend in die Parade und erzwingt in polternder niederbayerischer Manier (Schikaneder stammt aus Straubing) die Probenarbeit an Mozarts neuer Oper.

Aber Mozart, der Vielbeschäftigte und heillos Überlastete, blieb Schikaneder noch etliche Noten schuldig, und so musste zunächst einiges entfallen: Monostatos, die Priester, die Chöre. Hier siegte wieder einmal der Spruch „Weniger ist mehr“, denn erstens blieb der Vorstellungskraft des Publikums vieles überlassen und zweitens half der Erzähler Stefan Wilkening den Zuhörern gestenreich und mit wunderbar modulierender Stimme, mit Charme und Schalk, auf die Sprünge. Als Ersatz-Priester wedelte der Erzähler verschmitzt mit silbernem Palmzweig.

Emanuel Schikaneder wurde und wird wegen seiner oft widersprüchlich-kruden Story gerne gescholten. Doch nicht nur Gott kann auf krummen Zeilen gerade schreiben – auch geniale Opernkomponisten sind dazu in der Lage. Mozarts Musik, oft vernommen, kam jugendfrisch und unverbraucht über die Rampe; keine Routine war der Hofkapelle anzumerken, jedes Detail wurde liebevoll ausgekostet und der samtene Glanz der historischen Instrumente ließ die vertraute Musik in neuem Licht erscheinen.

Bevor Tamino (Kai Kluge) von der bösen Schlange verspeist werden konnte, haben die drei Damen (Bettina Simon, Katya Semenisty, Julia Pfänder) schon die Sache elegant bereinigt. Mit wohltönend harmonierenden Stimmen schmachteten sie den „schönen Jüngling“ an, der allerdings ohnmächtig darnieder liegend, nichts von dieser erotischen Offensive mitbekam. Papageno (Thomas E. Bauer) in herzlicher Unbekümmertheit stellte sich als Muskelprotz vor, dem nun Tamino zu großem Dank für seine Errettung verpflichtet ist. Papageno, dessen Rolle bei der Uraufführung Schikaneder höchst selbst verkörperte, entzückte mit seinem pfiffigen Liedchen „Der Vogelfänger bin ich ja“ zwar das Publikum, weniger die drei Damen. Die Geschichte ist so bekannt, dass sie nicht nacherzählt werden muss.

„Dies Bildnis ist bezaubernd schön!“ sang Tamino mit eindringlichem Schmelz, obwohl er nur einen leeren Bilderrahmen vor sich hatte. Die real existierende Pamina (Elena Harsányi) sang mit einer betörend leichten, silberglänzenden Jungmädchen-Stimme. Die höchsten Töne kamen schlank wie ein leuchtender Seidenfaden, berückend!

Ihrem durch das Schweigsamkeits-Gebot bedingten Herzeleid gab sie in bewegenden Arien ergreifenden Ausdruck. Ein Höhepunkt der Oper: Als Pamina mit Papageno aus dem Machtbereich Sarastros fliehen will, singen sie im Duett das hohe Lied der Liebe: „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an“. Dass das Publikum nicht aufstöhnte, als aus Sarastros Mund Sätze kamen wie „Ein Weib tut wenig, plaudert viel!“ ist fast verwunderlich.

Das Zentrum der Oper: Sarastro (Martin Summer), mit würdevollem, edlem Bass („In diesen heil‘gen Hallen kennt man die Rache nicht“), schlicht die Verkörperung des Guten, wie es die Aufklärung verstand, und als Gegenspielerin die intrigante, in finsterem Aberglauben verharrende Königin der Nacht (Nicole Wacker). Dass die Sängerin gesundheitlich angeschlagen war, merkte man nicht: Ihre mörderischen Koloratursopran-Arien meisterte sie mit Bravour und zupackender Gestik. Riesenbeifall!

Stefan Wilkening als Erzähler war in mehrfacher Hinsicht unverzichtbar. Er evozierte nicht nur die Requisiten, die man nicht sah: Pyramiden, Wasserfall, Feuersglut, Dolch oder Papagenos „Tischlein deck dich“, er war also kein Notbehelf zum besseren Verständnis, sondern integraler Teil der Handlung. Die erste Dame durfte zum guten Ende als Papagena dem leidgeprüften Papageno nachhaltig zu irdischer Glückseligkeit verhelfen: „Erst einen kleinen Papageno, dann eine kleine Papagena…“

Ende gut alles gut: Auch die Königin und ihre drei Damen konnten sich in der Schluss-Apotheose in den Jubelchor einreihen. Fast hätten wir etwas vergessen: Die drei Knaben (Solisten des Münchner Knabenchors) bewahrten nicht nur Pamina und Papageno vor einem unüberlegten Suizid, sondern begeisterten das Publikum mit ihrem Spiel und den reinen und miteinander so harmonierenden Stimmen. Noch einmal: Ende gut, alles gut. Sehr gut sogar! Walther Prokop

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