Herrenchiemsee – Der Meister des „Rings“ hat die Verehrung des vermeintlichen Hinterwäldlers aus Sankt Florian huldvoll-herablassend zu Kenntnis genommen; die Klassizisten dagegen verübelten Bruckner die devote Haltung zu Wagner und dessen ausufernder Musik.
Zwei solitäre
Figuren
Im Abschlusskonzert der Herrenchiemsee Festspiele stellten das Orchester der „Klangverwaltung“ und Kent Nagano die beiden Solitärfiguren des späten 19. Jahrhunderts einander gegenüber: Das „Siegfried-Idyll“ des Sachsen kontra 9. Symphonie d-Moll des Österreichers. Fazit: Bruckners Musik hat wenig mit Wagner gemein, und gar von Abhängigkeit kann vollends keine Rede sein!
Wagner hat seine diversen Frauen und Geliebten ziemlich ungleich behandelt; immerhin wusste er seine Affaire mit Mathilde Wesendonck in „Tristan und Isolde“ publikumswirksam zu sublimieren, und der Ehefrau Cosima widmete er diese symphonische Dichtung zum Geburtstag. Mit großer Delikatesse realisierten die Streicher die wohlig idyllischen Klänge und verdichteten sie zu einem immer engmaschiger werdenden Gewebe, wobei Transparenz und die Leuchtkraft der Farben oberste Priorität behielten. „Wagner light“: Dauer nur etwa 20 Minuten, und das Orchester auf Kammerbesetzung reduziert – man hatte bei der Uraufführung im Hause Richards soviel Platz auch wieder nicht…
Nach einer knappen halben Stunde wurde also das Publikum in die Pause entlassen, um den Alphornbläsern ein letztes Mal lauschen zu können. Die prächtige Abendsonne rundete die Veranstaltung zum Gesamtkunstwerk.
Böse Zungen behaupten immer wieder, Bruckner habe nur eine einzige Symphonie geschrieben, diese aber neunmal. Kent Nagano und die Klangverwaltung interpretierten anlässlich des 200. Geburtstags Bruckners drei Symphonien des Jubilars, die „romantische“ Vierte, die nach des Komponisten eigenen Worten „keckste“ Sechste und nun die letzte, die unvollendete Neunte. Wie soll man die benennen? Vielleicht die „Ekstatische“. Jedenfalls erklangen drei grundverschiedene, individuell geformte symphonische Werke!
Dennoch, Kent Nagano dirigierte mit leichter Hand, seine Linke modellierte klangliche Feinheiten, das Stäbchen in der Rechten sorgte wie nebenbei für den Zusammenhalt. Die hochmotivierten Musikerinnen und Musiker (der Frauenanteil auch in führender Position ist beachtlich!) agierten präzise und profilierten die sich jagenden, thematisch wichtigen Pizzicati zu klangvoller Körperlichkeit.
Man möchte gerne die Musik nacherzählen, weil da soviel geschieht: Die herrlichen Bläsereinwürfe, weder „frömmelnd“ noch nach billigem Triumph klingend, die samtweichen Motive der Streicher und schließlich auch die Pauke, welche Bruckner wahrlich nicht zu zaghaft einsetzt. Der Komponist führt jedoch die Hörer behutsam, um sie sicher durch seine kosmischen Wirbelstürme zu geleiten. Die ungeheuren Energien, welche Bruckner freisetzt, wurden von Kent Nagano gebändigt und umsichtig ausbalanciert.
Ein ergreifender Abgesang
Das Scherzo, eine Art gespenstischer Walpurgisnacht, auch wenn die Symphonie „dem lieben Gott“ gewidmet ist. Und der letzte, lange, „sehr feierliche“ Adagio-Satz (ein Finale kam nicht mehr zustande) wurde schier zu einem unendlich ergreifenden Abgesang.
Frenetischer Beifall, mehrere „Vorhänge“ und auch ein Orchester, das sichtlich von der eigenen Leistung beglückt war. Mit Recht!