Thansau – Eine Phrase im tiefsten Bass-Register, die um die Tonart h-Moll kreist: Mehr braucht Franz Schubert nicht, um Todesdüsternis in Töne zu setzen. Auf diese Weise beginnt 1822 seine „Unvollendete Sinfonie“. Schon in der Barock-Musik galt diese Tonart als Sinnbild für Tod und Dunkelheit, und es stellt sich die Frage: Wie kann ein Werk, das so beginnt, überhaupt enden? Dass dieses Werk ein Fragment geblieben ist, scheint da nur konsequent: eine Frage ins Offene.
Bei Festivo bekam dieses verdüsterte Fragment eine ganz andere, neuartige Dringlichkeit, denn: Sie wurde in einer reduzierten Kammerfassung für vierhändiges Klavier mit Cello und Violine gegeben. Aus dieser Reduktion ist im Foyer von Schattdecor in Thansau bei Rohrdorf ein Blick ins tiefste Innere erwachsen. Die Lebens- und Weltentrücktheit wirkte noch privater, persönlicher: buchstäblich nackt.
Mit dem prominenten Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuysen sowie der aufregenden Cellistin Raphaela Gromes und Niklas Liepe an der Violine waren unerhörte Kräfte zu erleben, die den Gang ins Innere geradezu mustergültig verlebendigten. Als führende Schubert-Exegeten haben sich Tal und Groethuysen längst einen Namen gemacht. Ihre Gesamtaufnahme des Klavierduo-Schaffens von Schubert genießt bis heute Referenzcharakter.
Denn sie haben ein stupendes Gespür für den kantablen Lyrismus und das verinnerlichte Drama, um beides sinnstiftend zu einen. Mit diesem Profil glänzten auch die Kammerfassungen in derselben Besetzung der Sinfonie Nr. 1 von Felix Mendelssohn Bartholdy sowie der berühmten „Fünften“ von Ludwig van Beethoven. Ganz nebenbei wurde einmal mehr deutlich, wie wertvoll und eigen solche reduzierten Fassungen sind.
In der frühen Moderne waren es Arnold Schönberg, Erwin Stein, Hanns Eisler oder Karl Rankl, die große Instrumental- und Vokalsinfonik von Gustav Mahler oder Anton Bruckner zu Kammerfassungen reduziert haben. Einige dieser Fassungen waren bereits bei Festivo zu hören. Das Gastspiel von Tal und Groethuysen sowie Gromes und Liepe setzte diese Festivo-Tradition klug fort. Solche Reduktionen gibt es indessen schon weitaus länger.
Das offenbarte die Kammerfassung von Mendelssohns „Erster“: Sie stammt von ihm selber. Nach dem Erfolg dieser Sinfonie 1829 in London arrangierte er das Werk für diese Kammerbesetzung. Dagegen hat Carl Burchard die „Fünfte“ Beethovens sowie Schuberts „Unvollendete“ auf diese Weise reduziert. Bei Festivo wurde selbst die bekannte „Fünfte“ in ein neues Licht gerückt. Aus der Reduktion erwachsen ungeahnte Einblicke in Form, Fraktur und Gehalt.
Noch dazu hat das Quartett eine hellhörige, packende Ereignisdichte herausgearbeitet: alles in einem Guss, groß und bleibend. Über Burchard ist kaum etwas bekannt. Im Jahr 1818 geboren und 1896 verstorben, war er in Dresden als Komponist, Musiker und Pädagoge aktiv. Neben diesen zwei Werken liegen von ihm zahllose weitere Kammerfassungen dieser Art vor. Eine regelmäßige Festivo-Werkstatt mit Kammerfassungen großer Sinfonik wäre ein absoluter Gewinn! Marco Frei