Beseelte Vollendung

von Redaktion

Tianwa Yang und William Youn geben zusätzliches „Inselkonzert“

Herrenchiemsee – Schon eine Konzertreise nach China ist ein gewaltiger Kraftakt. Allein der Jetlag kann ziemlich umhauen. Für Tianwa Yang scheint das kein Problem zu sein. Gerade erst kommt die Geigerin von einem Gastspiel in ihrem Geburtsland in Fernost zurück, um prompt im Rahmen der „Inselkonzerte“ auf Herrenchiemsee zu konzertieren. Das Programm hatte es in sich: Neben der Solosonate Nr. 3 BWV 1005 von Johann Sebastian Bach stand die Violinsonate Nr. 2 von Robert Schumann an.

Und damit nicht genug: Weil das Konzert im Bibliothekssaal des Augustiner Chorherrenstifts restlos ausverkauft war, gab es zuvor zusätzlich ein zweites Konzert mit demselben Programm. Sie hatte sich dazu bereit erklärt, ein echter Kraftakt.

Eine schiere
Offenbarung

Was bleibt, ist eine schiere Offenbarung. Tianwa Yang ist ein Phänomen. Ob Barock, Klassik oder Romantik: In allen Stilepochen ist Yang zu Hause, bewegt sich absolut stilgerecht und kenntnisreich im Repertoire, überaus wandelbar und agil. Sie liebt und kann Bach, und das hatte Yan zuletzt 2021 auch bei den „Inselkonzerten“ bewiesen. Damals gestaltete sie die Solo-Partiten Nr. 1 BWV 1002 und Nr. 3 BWV 1006. Schon diese beiden Werke sind eine besondere Herausforderung, aber kein Vergleich zur jetzigen Solo-Sonate Nr. 3. Da ist allein die bis zu vierstimmige Mammut-Fuge des zweiten Satzes: Über gewaltige 354 Takte kreiert Bach die perfekte Illusion einer komplexen Mehrstimmigkeit auf der einstimmigen Geige.

Für das Thema der Fuge hat Bach auf den Choral „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ zurückgegriffen, um ein veritables Wunder zu erschaffen. Diese Fuge lässt sich im Grunde kaum klangschön spielen. Bei Yan kam sie unerhört leichtfüßig und völlig entschlackt daher: als ob es sich um einen geigerischen Spaziergang handelte.

Mit einem Barockbogen ausgerüstet, gelang ihr eine betörend luftig-leichte Phrasierung und Artikulation. Ob Form und Gehalt, Stimmführung und Fraktur: Alles war perfekt ausbalanciert, historisch informiert, aber nicht dogmatisch streng. Ihr Bach klang nicht spröde und trocken wie Knäckebrot, sondern im allerbesten Sinn beseelt.

Mit der komplexen, hochvirtuosen Violinsonate Nr. 2 op. 121 von Schumann folgte nach der Pause die zweite „Tour de Force“. Das gilt nicht nur für die Violine, sondern auch für das Klavier. Im Jahr 1851 entstanden, haben manche Zeitgenossen in diesem späten Werk bereits Schumanns Geisteskrankheit herausgehört: so Schumanns Ehefrau Clara. Andere erkannten die genialische Natur in dieser Musik, darunter Franz Liszt und der bedeutende Geiger Joseph Joachim. Mit William Youn am Klavier, Co-Leiter der „Inselkonzerte“, gähnte nirgends übersättigtes Pathos oder eine zur Schau gestellte Fingerakrobatik.

Entrückte
Innenschau

Auch hier lebte Yan eine hellhörige Differenzierung. Ein Ort stiller, entrückter Innenschau der dritte Satz: Hier wandelte sich der bereits im zweiten Satz zitierte Choral „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ fast schon zu einer wortlosen Fürbitte. Youn ist ein Meister der kantablen, verinnerlichten Zwischentöne, und im Zusammenspiel mit Yang erwuchs reinste Tonpoesie. Das galt auch für die schlichte, wunderschöne Violinsonate D 384 von Franz Schubert.

Wie schon beim letzten „Inselkonzert“ bestätigte sich auch diesmal der Eindruck, dass die neue Aufstellung des Flügels und Bestuhlung die Höreindrücke optimiert. Das Podium ist nicht mehr mittig im Saal, sondern vor der Wand links. Auch im Zusammenspiel von Streichinstrument und Klavier wirken die Dynamik und Farbgebung ausbalancierter.

Beim nächsten „Inselkonzert“ am Sonntag, 1. September, präsentiert Co-Leiter Nils Mönkemeyer Solo-Werke von Bach und Nicola Matteis an der Bratsche.

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