Stephanskirchen – Das Gesangsensemble „Canto Sonor“ besteht aus vier Sängern (Markus Herzog, Ulfried Haselsteiner, Florian Podgoreanu, Michael Doumas) und einem Pianisten (Carlos Goikoetxea) und sind eigentlich alle gleichwertig – eigentlich: Wenn sie die „Dichterliebe“ von Robert Schumann auf Gedichte von Heinrich Heine in verjazzter Form singen, ist einer noch wertiger: Ulfried Haselsteiner, zweiter Tenor und Arrangeur.
Er ist der „Verbrecher“, der Schumanns Liederzyklus, ursprünglich für eine Stimme und Klavier, arrangiert für ein Gesangsquartett plus ein Klavier plus ein Clavinova plus Schlagzeug und plus ein von ihm selbst gebautes Instrument, das er als „einen sehr schlanken Kontrabass“ bezeichnet. Dieses Arrangement nimmt die Harmonien, die Schumann in der Klavierbegleitung und in den ausgiebigen Vor- und Nachspielen fast versteckt, auf, weitet sie, intensiviert sie und bringt sie zu der jazzigen Wahrheit, die in ihnen – durchaus zum Erstaunen der Zuhörer – steckt. Dann schillern die Lieder in kaleidoskopartig funkelndem Harmonie-Prunkgewand, dann singt ein veritabler Nachtigallenchor aus Seufzern (wie es im zweiten Lied heißt), dessen Harmonien die Zuhörer im gut verkauften Antretter-Saal erfreuen, überraschen und, ja, erschrecken.
Der Bassist Michael Doumas erläutert kundig und humorvoll die biografischen Hintergründe und liebesschmerzlichen Abgründe und formuliert richtig: Die Verjazzung macht aus Miniaturen klangüppige Gemälde.
Der einzige Kritikpunkt sei schnell abgetan: Die gesungenen Konsonanten sollten schon deutlicher hörbar sein, so das oftmals verwendete „z“ in Herz und Schmerz, das „tt“, mit dem die Trompeten schmettern, oder das „w“, mit dem geweint wird.
Zurück zum Erstaunen und Erfreuen: In „Wenn ich in deine Augen seh‘“ wandert die Melodie in Doumas‘ tiefschwarzen Bass und es wird dann ganz dialogisch, der heimliche Drive wird offenkundig in „Ich will meine Seele tauchen“. Der schmerzliche Swing in dem hübschen Gedicht „Ach wüssten’s die Blumen“ wird mit einem leis-ironischen Cha-Cha-Cha beendet und das „Flöten und Geigen“ wird zu einem höhnischen Hochzeitstanz.
Wenn sich das übergroße Weh in Tränen auflöst („Hör‘ ich das Liedchen klingen“), zupft der Bass schluchzend dazu. Manchmal stürzen die Harmonien ins Bodenlose („Am leuchtenden Sommermorgen“), manchmal klingen sie wie Free Jazz („Allnächtlich im Traume“) und im vorletzten Lied („Aus alten Märchen“) hört man einen Geschwindmarsch, der in einen sehnsüchtig schmachtenden deutschen Männerchor wie von Friedrich Silcher mündet. Wenn Heine lebensklug die Bäumchen-wechsle-dich-Liebesgeschichten erzählt („Ein Jüngling liebt ein Mädchen“), hört man urplötzlich die Comedian Harmonists singen – und der Kaktus sticht mitten ins Herz. Wenn der Sänger „im Traum geweinet“ hat, intoniert das Klavier die Trauer-Arie schlechthin, die Arie „When I’m Laid“ aus „Dido and und Aeneas“ von Henry Purcell.
Nachdem der Schumann-Heine-Sänger all seine Liebe und all seinen Schmerz in einen Sarg versenkt hat, leben die vier „Canto Sonor“-Sänger zum Abschluss nochmal kräftig auf und bieten moderne, echte Swingmusik in klangsatten Arrangements: Mit dem textlich sinnfreien „Sh-Boom“ toben sie über die Bühne, gestehen swingend „I like Coffee“, besingen schwelgerisch „La Mer“, verlangen sehnsüchtig: „Besame, mucho!“ und verkündeen mit Frank Sinatra: „The Lady is a trump“. Mit Sinatras Song „Stranger in the Night“ schicken die Sänger samt Pianist die jetzt enthusiasmierten Zuhörer in den Mittag.
Diese – hier nur dazugefügten – Sinatra-Songs verführen zum Vorschlag für eine weitere „Dichterliebe“-Variation: Warum nicht Sinatra-Songs, die ja auch oft von – nicht erfüllter – Liebe handeln, mischen mit den Schumann-Liedern? Also eine „Dichterliebe von Robert Sinatra und Frank Schumann? RAINER W. JANKA