Ein facettenreicher Brückenbauer

von Redaktion

Im Gespräch mit Bernd C. Sucher, Theaterkritiker und Schöpfer der Sommer-Kulturwoche in Seeon

Seeon – Lieder und Literatur, Liebe und Leidenschaften: Noch bis kommenden Sonntag ist das Kloster Seeon im Rahmen der Sommer-Kulturwoche „Suchers Seeoner Leidenschaften“ ein Ort der Musen und erlesener Kulturgenüsse. Die Veranstaltungen sind wie geschaffen dafür, Seele und Gemüt aufzuheitern und damit ein willkommenes Gegengewicht zu den Aufgeregtheiten und Schwierigkeiten der Gegenwart zu setzen. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen schildert der Theaterkritiker, Buchautor und Professor an der Filmhochschule in München, Bernd C. Sucher, was ihn mit Kloster Seeon, den Menschen in der Region und dem jüdischen Leben in Deutschland verbindet.

Zweitwohnsitz
ganz in der Nähe

Bereits im letzten Jahr ergab sich der erste Kontakt im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Klosters Seeon als Bildungszentrum des Bezirks Oberbayern. Da passte es gut, dass der ehemalige Feuilleton-Redakteur neben dem Wohnsitz in München auch ein Bauernhaus zwischen Altenmarkt und Seeon bewohnt. Das Sacherl hat er sich zusammen mit seinem Mann ausgebaut.

Hier fanden auch regelmäßig gutbesuchte Abende im Rahmen der literarischen Vortragsreihe „Suchers Leidenschaften“ statt. Bei den Lesungen zusammen mit Schauspielern stellt der Literaturliebhaber und Mitglied des PEN-Clubs dem Publikum in sehr persönlicher Weise jeweils einen ausgewählten Schriftsteller oder Theaterautor vor. Zahlreiche prominente Namen finden sich unter den Gästen.

Nach dem ersten Erfolg um die Jahrtausendwende gastierte Sucher mit der Erfolgsreihe in Weimar, Frankfurt, Hamburg und Berlin, aber auch in Wien, Zürich und Paris. Seit 2010 strahlte auch der Bayerische Rundfunk die Lesungen aus. „Es ist klar, dass diese Veranstaltungen mit Autos von weither den Landwirten in der Umgebung nicht lange verborgen blieben“, erzählt Sucher. So kam nicht nur der Kontakt zur lokalen Bevölkerung, sondern auch zu Gerald Schölzel, dem Geschäftsführer von Kloster Seeon, zustande. Der freute sich, zusammen mit dem passionierten Kulturkenner C. Bernd Sucher ein maßgeschneidertes Programm zum Jubiläum des Klosters zu entwerfen. Dem großen Erfolg folgte heuer die passende Fortsetzung.

Mit der Region verbindet den 75-Jährigen auch noch etwas anderes. „Seit ich mit meinem Mann hier in der Region wohne, blieb nicht lange geheim, dass ich Jude bin“, erzählt Sucher. „Als die Bauern von nebenan kamen und wissen wollten, ob wir zusammen Weihnachten feiern können, fragte ich, ob sie stattdessen Lust haben, mit mir den Schabbat zu feiern.“

Eines der Ergebnisse des gegenseitigen respektvollen Umgangs mit religiösen Gepflogenheiten war, dass ihm bei Gegeneinladungen kein Schweinefleisch serviert wurde. „Das ist zum Teil in der Stadt anders, wo heute bei wichtigen Premieren oder Veranstaltungen keine Rücksicht mehr auf hohe jüdische Feiertage wie Jom Kippur oder das Chanukka-Fest genommen wird – im Gegensatz zu früher.“

Um für Verständnis gegenüber der jüdischen Lebensart zu werben, bevorzugt Sucher den persönlichen Austausch in kultiviert-humorvoller Begegnungskultur anstelle einer Erinnerungskultur mit dem Zeigefinger. Im Gespräch mit Schülern in Laufen oder demnächst in Trostberg, in zahlreichen Interviews mit namhaften Medien oder zahlreichen Buchpublikationen wie zuletzt dem Romanerstling „Rahels Reise“ – er steht am Donnerstag auf dem Programm in Seeon – macht er sehr facettenreich deutlich, was es heute heißt, als Jude in Deutschland zu leben. Dass er dabei selbst im Spannungsfeld zwischen einer jüdischen Mutter, die das KZ überlebt hat, und einem protestantischen Vater in Hamburg aufgewachsen ist, lässt sein Anliegen umso überzeugender erscheinen. Getauft und konfirmiert, trat er erst mit über 30 nach dem Tod des Vaters in die jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt ein. Promoviert hat Sucher im Übrigen über „Martin Luthers Stellung zu den Juden“ im Fach Germanistik.

Es wirkt wohltuend im Gespräch mit einem der letzten „Großkritiker“ unserer Zeit, dass er mit seiner offenen und menschenzugewandten Art eher wie ein verständiger Brückenbauer denn als belehrender Moralapostel wirkt. So sieht er sich auch in seiner Stellung als Theaterkritiker, der für ihn mehr Berufung als Beruf ist. „Natürlich habe ich auch Verrisse geschrieben, aber ich habe mehr Lust, neue Talente zu entdecken als Menschen niederzuschreiben“, erklärt Sucher.

Die Schule der
Wahrnehmung

Was den Theaterkritiker vom normalen Besucher unterscheidet, ist, „dass er mehr kulturelles Wissen im Rucksack haben sollte, um Ziele, Motive und Anspielungen der Autoren und Regisseure zu durchblicken.“ Hand in Hand damit gehen sollte laut Sucher die „Schule der Wahrnehmung“, also das zu sehen, was anderen entgeht. Als Beispiel nennt er Anspielungen aus Filmen in der modernen Interpretation von Mozarts „Don Giovanni“ durch Romeo Castellucci bei den aktuellen Salzburger Festspielen. Mehrere Kritiker filetierten das Stück dagegen genussvoll in einem Verriss.

Mit dem Publikum teilt der Kulturkenner seine Leidenschaft für Literatur, Film, Theater, Musik und kultivierte Lebensart in der Publikationsreihe „Suchers Welt“ und einer Vielzahl weiterer Bücher. Live erleben lässt sich das alles bei der Sommer-Kulturwoche.

Seeoner Kulturwoche

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