„Bauernproteste und Brenner-Nordzulauf“

von Redaktion

Volksmusikpflege Sammlung von Sprüchen und Liedern als Protest der Bauern und Betroffenen im Rosenheimer Land

Rosenheim – Volkskultur und Volkslieder sind Teil des Lebens der Menschen, vor allem der einfachen Menschen, die in der Regel „regiert werden“ und nicht an den „Hebeln der Macht“ sitzen – so hat dies einmal eine weise Frau formuliert. Grete Horak (1908 bis 1996) war eine der bedeutendsten Sammlerinnen von Kinderliedern, Sprüchen und Spielen im südlichen deutschen Sprachraum. Sie hat ihren Mann Karl (1908 bis 1992) ein Leben lang von den 1920er- bis in die 1980er- Jahre bei den gemeinsamen Feldforschungen zum Singen, Musizieren und Tanzen unterstützt, ergänzt, begleitet – und die schnellen handschriftlichen Aufzeichnungen bei den Gewährsleuten dann sorgsam „ins Reine geschrieben“.

Die beiden haben in Wien Volkskunde studiert und waren ab den 1930er-Jahren von Kufstein und Tirol aus auch in Bayern und vor allem im Inntal und den angrenzenden Regionen unterwegs.

In Kiefersfelden haben sie in den 1950er-Jahren diese Vierzeiler aufgeschrieben, die Grete Horak in Gesprächen manchmal zitierte, wenn wir über die Probleme mit politischen Entscheidungen redeten:

„Da Baua konn arbatn, / die Herren regiern, / Sie entscheiden wias wollen, / dean se gar net schiniern. / Dean se gar net schiniern / Hauptsach sie habn recht, gehts d‘Leit danach besser / oder nomal so schlecht.“

Die Volksliedsammlungen sind voll von kritischen Texten „gegen die Obrigkeit“ oder die schwere Arbeit, die drückenden Steuern oder die Not der Menschen im Leben (Beispiel Sammlung Kiem Pauli 1034). Wenn in den Medien und bei Veranstaltungen nur die „schönen“ Volkslieder beispielsweise über die Jahreszeiten, das Almleben, die Freuden des Lebens und die Liebe zu hören sind, dann ist es nur ein Teil der im Volkslied seit über 200 Jahren thematisierten Inhalte. Immer ist es auch um die problematischen Lebensumstände gegangen.

Die älteren Leser werden sich an die politischen Gstanzl vom Roider Jackl erinnern, die jüngeren vielleicht an die Lieder von Hans Well für die Biermösl-Blosn. Deren damals umstrittenes und teils verbotenes „Baywa-Lied“ könnte man gerade in der letzten Zeit weiterführen. Volkslied ist immer auch aktuell!

So ist es sinnvoll, wenn die Volksmusikpflege im Landkreis Rosenheim derzeit Texte, Sprüche, Verse und Lieder sammelt, die mit den Bauernprotesten zu Beginn dieses Jahres zu tun haben – oder natürlich auch mit dem jahrelangen Streit über den Nordzulauf für den Brennerbasistunnel. Gerade dieses Thema scheint in unserer Heimatregion gewaltige Veränderungen zu bringen. Die ins Auge gefassten Trassen fressen wertvolles Bauernland und bedrohen das Inntal als Lebensraum der Menschen.

Die definitiven Entscheidungen über diese Angelegenheiten werden weit weg von den damit belangten Menschen getroffen. Die Entscheider selbst sind von den negativen Folgen für die Menschen vor Ort wohl nur wenig oder gar nicht betroffen.

Deshalb scheint es nur naheliegend, dass etwa das bekannte Lied vom „Jennerwein“ umgedichtet wird. Auch das überlieferte Lied vom „Boarisch Hiasl“, mit dem schon frühere Generationen gegen Behördenwillkür und Obrigkeitsgewalt „angesungen“ haben, wird mit aktuellen Strophen ergänzt, so wie es auch bei den Protesten gegen die dritte Startbahn im Erdinger Moos geschehen ist:

„Mit falschen Zahlen wird hantiert, / vielleicht werd dabei auch geschmiert? / Experten hin, Experten her, / versteht ma gar nix mehr. / Ja Boarisch Hiasl, steh doch auf / und schmeiß des Gschwerl zum Fensta naus! / So kämpfts für unsa Hoamatland, / alle Bürger Hand in Hand!“

Die Kritik im Volkslied ist ein wesentliches Merkmal dieser menschen- und lebensnahen Gattung. Lieder können Protest sein, auch und besonders in einer Demokratie, wenn die Landwirte verzweifelt sind oder die Existenz- und Lebensgrundlage auf dem Spiel steht. ernst schusser

Protestlieder gesucht

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