Ein Endungs-n stand früher auch im Nominativ Singular

von Redaktion

Warum die Duden-Redaktion das Haggerl aus der „Wiesn“ strich – Flexions-n im Alt- und Mittelhochdeutschen

Rosenheim – Wenn man dem Internet in dieser Angelegenheit trauen darf, gibt es nur drei Volksfeste, die sich als „Wiesn“ bezeichnen lassen dürfen: Das Kaiser Wiesn-Fest im Wiener Prater, das Münchner Oktoberfest auf der Theresienwiese und – das Rosenheimer Herbstfest auf der Loretowiese! Wenn nun auf Bairisch die freundliche Aufforderung kommt, „heid gehma auf d Wiesn!“: Heißt das dann: „Heute gehen wir auf die Wiesen!“ – also Wiesen in der Mehrzahl, oder heißt das: „Heute gehen wir auf die Wiese!“ – also Wiese in der Einzahl? Im Sinne der vielen Zuzügler beziehungsweise Zuagroasdn, die in unsere Gegend auf Besuch oder zwecks Einwanderung gekommen sind, ist es sicherlich wieder einmal an der Zeit, den sprachlichen Hintergrund des Geländenamens zu beschreiben, der als Örtlichkeit für sommerliche und herbstliche Festivitäten Jahr für Jahr gebraucht wird. Die Wiese. Jahrzehntelang wurden die Münchner Theresienwiese und die Rosenheimer Festwiese zumeist mit Apostroph als „Wies’n“ geschrieben, doch seit Ende der 1990er-Jahre kam immer mehr die Schreibung „Wiesn“ auf. Und hier kommt diese Zeitung samt ihrem Kolumnisten Professor Johann Höfer ins Spiel. Der Sprachenprofessor schrieb in seiner Kolumne „Bairisch gredt“, die von 1992 bis 1999 regelmäßig auf Seite 3 im Münchner Merkur und dessen Heimatzeitungen sowie im OVB und dessen Heimatzeitungen erschien, im Artikel „Gehma auf d Wiesn?“ die folgenden Zeilen: „Wir schreiben viele überflüssige Haggerl. In manchen Zeitungen liest man immer noch „Wies’n“ statt richtig „Wiesn“. Es könnte ja sonst allzu bairisch aussehen! Wozu aber dient hier der Apostroph? Es gibt keine Einzahlform „Wiesen“, also ist das Haggerl als Auslassungszeichen ein Schmarrn. Ein Schmarr’n? Gleiches gilt für Watschn, Hutschn, Butzn, Märzn, Dotschn, Letschn. Manche Zeitungen könnten jährlich zur Oktoberfestzeit einige Quadratmeter Haggerl einsparen. Doch das Haggerl ist chic wie ein Dirnd’lg’wand, Schwein’swürst’l, pros’t, g’suffa!“ Auf einen Brief Johann Höfers an die Redaktion der Süddeutschen Zeitung in dieser Haggerl-Angelegenheit antwortete SZ-Redakteur Hermann Unterstöger am 21./22. September 1996 gleich in drei Sprachen: Auf preußisch, bairisch und lateinisch: „Tschüß, Haggerl! Servus, Wiesn! Vicisti, Münchner Merkur“. Und seit diesem Zeitpunkt schreibt die SZ ebenfalls wie das OVB und der Merkur sowie mittlerweile der Duden „Wiesn“. Du hast tatsächlich gesiegt, Merkur, inklusive OVB! Hermann Unterstöger vergaß allerdings nicht zu erwähnen, woher das n in Wiesn kommt: Es habe in „den abgesunkenen Sprachschichten“ – also alt- und mittelhochdeutsch – ein altes Flexions-n gegeben, wie man aus Goethes „Röslein auf der Heiden“ ersehen kann. Wir erläutern noch etwas genauer: Das Endungs-n bezeichnete einst, so wie heute, nicht nur den Plural des Wortes „Wiese“, sondern in der Einzahl auch den Genitiv, Dativ und Akkusativ. Und jetzt kommt’s: Das Endungs-n rutschte speziell im Bairischen sogar in den Nominativ Singular, also in den 1. Fall der Einzahl: Die Wiese wurde d Wiesn. Ein bisserl spät kommt diese unsere finale Erklärung schon, aber es sind ja erst 28 Jahre nach dem Wiesn-Sieg von OVB und Merkur vergangen! armin höfer

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