„Heita mei Büabei tuat schlafa …“

von Redaktion

Aus der Volksmusikpflege Kinderverse, Jodler und Lieder, gesammelt und herausgegeben von Wastl Fanderl 1943

Bruckmühl – Es ist das Jahr 1943 – mitten im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Russlandfeldzug mit der Schlacht bei Stalingrad kostet unendlich viele Menschenleben, russische und deutsche, junge und alte. Die Propaganda-Maschinerie der Nationalsozialisten ruft zum „Totalen Krieg“. Bomber werfen ihre todbringende Last über den Städten ab. Die Menschen hungern und fliehen. Die Unmenschlichkeit herrscht nicht nur in Konzentrationslagern und Todesanstalten. Alles wird auf einen immer unwahrscheinlicheren „Endsieg“ ausgerichtet. Die Jugend wird von Kindheit an seit 1933 fast vollständig indoktriniert. Die Gestapo und ihre Spitzel, Blockwarte und Helfershelfer überwachen alles – und doch gibt es auch unterschiedlichen Widerstand.

Es ist das Jahr 1943. Die Studenten der „Weißen Rose“ in München leisten Widerstand und werden verhaftet und nach Schauprozessen hingerichtet. Auch Professor Dr. Kurt Huber ist unter den von der terroristischen Staatsmacht Ermordeten. In Stadelheim dichtet er in der Todeszelle das „Andreas-Hofer-Lied“ um, das die Riederinger Buam immer so beeindruckend bei den Heimatabenden vom Kiem Pauli ab ungefähr 1932 gesungen hatten – damit beschreibt er auf seine Hinrichtung wartend sein unabwendbares Schicksal. Er, der Volksliedforscher und Kompagnon vom Kiem Pauli bei der neuen oberbayerischen Volksliedbewegung ab 1925, war einmal begeistert von der nationalen Kulturpolitik, die auch das Volkslied vereinnahmte und missbrauchte – merkte aber dann im Laufe der Jahre, wohin der Weg führte, und unterstützte den studentischen Widerstand.

Der junge Volksliedsammler und Sänger Wastl Fanderl (1915 Bergen bis 1991 Frasdorf) hatte sich schon früh einen Namen gemacht. Er lud Interessierte zu seiner ersten Singwoche in Bergen über Neujahr 1936/1937 ein und begann – wie sein „väterliches“ Vorbild Kiem Pauli (1882 bis 1960) – Lieder und Kindersprüche zu sammeln. In Singstunden mit dem Bund deutscher Mädel (BdM), Kraft durch Freude (KdF) und Landwirtschaftsschülerinnen versuchte er, den jungen Leuten auch andere Lieder zu lernen, die nicht im nationalsozialistischen Kanon vertreten waren – Volkslieder und Jodler aus „alpenländischen“ Sammlungen und eigene Aufzeichnungen. Und Wastl Fanderl veröffentlichte mit 28 Jahren sein erstes eigenes Liederbuch: „Hirankl-Horankl – Wiegenlieder, Kinderversl, Bauernratsel, Jodler und viele lustige Liadl für Dirndl und Buam vom Alpenland“. Gesammelt und herausgegeben von Fanderl Wastl.

Im Vorwort spricht Fanderl die Lebenslust und Singfreude der Buam und Dirndl an. Bei meinen eigenen Feldforschungen ab den späten 1970er-Jahren haben mir viele ältere Leute erzählt, dass das Singen, das einfache Singen bei der Arbeit, für sich oder mit anderen gerade auch in schweren Zeiten wie Krieg, Unterdrückung und Flucht den Lebensmut gestärkt hat.

Fanderl hat neben vielen von ihm in der neuen Dreistimmigkeit notierten Liedern eine Vielzahl der von ihm seit 1936/1937 gesammelten Kinderreime, Verse und Spiele aus dem Chiemgau, Inntal und Oberland abgedruckt. Für das Verbreitungsgebiet dieser Tageszeitung seien hier nur ein paar Aufzeichnungsorte und Gewährspersonen genannt: Frasdorf (seine Mutter), Samerberg (Lisl Müller, Kathi Bauer), Riedering (Familie Thoma), Krottenmühl (Hansl Anzinger), Rohrdorf (Fanni Dick), Degerndorf (Lo Eylmann), Breitbrunn (Rosa Waldherr).

Die Kreisvolksmusikpflege Rosenheim arbeitet derzeit an der kommentierten Neuauflage des farbigen Liederbüchls „Hirankl-Horankl“. Über unsere Aufrufe haben wir zahlreiche Hinweise zum Gebrauch des Liederbuches erhalten. Ein Exemplar aus Bad Aibling konnte ich erwerben. Wastl Fanderl hatte 1945 eine Widmung hineingeschrieben: „‘S Schönste auf der Welt is d‘Liab und d‘Musi und as Hoamatl!“ Wenn Sie, liebe Leser, Hinweise über den Gebrauch dieser Liederbücher haben, melden Sie sich bei Ernst Schusser, Friedrich-Jahn-Straße 3, Bruckmühl, Förderverein Volksmusik Oberbayern, unter Telefon 08062/8078307 oder per E-Mail an ernst.schusser @heimatpfleger.bayern.

ernst schusser

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